ANZEIGE

Klassik Radio App für Klassik und Filmmusik

Weihnachten – Wanners wunderliche Welt

Ein Tag ohne Weihnachten? Das ist für den Basler Lebenskünstler Johann Wanner undenkbar. Wie die Musik, der Sport und extravagante Anzüge und Automobile, so zählen Kugeln, Kerzen, Glanz und Glitter ganzjährig zu seinem Alltag – ein Gesamtkunstwerk kindlicher Freuden, das er mit Besuchern und Kunden aus aller Welt teilt (ALPS Magazine #2 2/2010 Review)

Eine glänzende, grüne Tüte mit Baumwollkordel als Tragehenkel und dem Schriftzug: JOHANN WANNER. Sie ist schick und edel, man trägt sie gerne auch nach dem Einkauf mit sich herum, und sie sieht eigentlich aus wie die Mitgift aus einem Luxus-Mode-Geschäft. Falsch. Wer genauer hinsieht, liest darunter den kleineren Schriftzug: WEIHNACHTSBAUM­SCHMUCKAUSSTATTUNGSGESCHÄFT, so gesetzt – und in einem Wort –, dass die Länge genau derjenigen des oberen Schriftzuges entspricht. Johann Wanner, der Mann hinter dieser Tüte, ist ein Mensch voller Überraschungen und Widersprüche – ganz wie die Tüte selbst, die seinen Schriftzug trägt. „Johann Wanner ist mein Name. Es ist ein Name, der gut im Logo steht. Sechs Buchstaben für Johann und sechs für Wanner.“ Wer hat das Logo für Sie entworfen? „Das war eine Eigenproduktion. Die Schrift ist die Times, eine klassische Zeitungsschrift. Johann Wanner kann ich nebeneinander oder übereinander setzen. Dann wird es fast zur Prägeschrift. Das Logo ist ein bisschen Englisch von der Anmutung her. Und das ist durchaus beabsichtigt.“

Wir sitzen in Johann Wanners Weihnachtscafé in der Altstadt von Basel an der Schneidergasse 7. Jedes Jahr von Mitte Oktober bis in den Januar hinein steht dieses Etablissement des dekorativen Überschwangs dem Publikum offen. Hier im ersten Stock des historischen Hauses ist für immer Weihnachten – und dies mit Verve und Leidenschaft. Üppig behängte Weihnachtsbäume, die berühmten Wanner-Christbaumkugeln mit vierzig Zentimetern Durchmesser, Lametta, Fliegenpilze, Engel in allen Größen … Und natürlich Kerzen. Gerade dieses Jahr hat Wanner die Stearinkerze wieder ins Sortiment genommen. Sie ist hart wie Porzellan, und man kann sie mit einem Nylonstrumpf polieren. Sie brennt bis zu vierzehn Stunden, sie tropft nicht, und sie raucht nicht. Und dann die Glas-Gurke für den Baum! Sie darf nicht fehlen, denn in Johanns kinderreicher Familie waren die Geschenke rar, und so versteckte die Mutter immer eine Gurke am Baum. Wer sie zuerst entdeckte, der erhielt eine Extra-Päckli.

Noch immer im Weihnachtscafé: Hier drin überbordet es. Es ist barock und irgendwie ganz heimelig und schaurig schön zugleich. Man möchte sehen, wer hier keine Gänsehaut kriegt. Das Hauptgeschäft übrigens ist am Spalenberg, ebenfalls in der Basler Altstadt, und natürlich das ganze Jahr über geöffnet. Denn Weihnachten ist für Johann Wanner nicht ein Datum, Weihnacht, das ist ein spiritueller Zustand, in dem er sich seit gut 40 Jahren befindet.

Johann Wanner erzählt. Und er ist ein guter Erzähler, denn er ist auch ein Mann, der auf der Bühne mit klassischer Gitarrenmusik brilliert, der die Menschen unterhält. Ein Showman gewissermaßen. Wie auch der Weihnachtsmann oder Santa Claus ein bisschen Showmenschen sind. Er ist der geborene Kommunikator und nicht unbedingt ein Verkäufer, das ist sein Erfolgsrezept. Und als Showman sieht er auch ein bisschen auffällig aus. Der Kopf ganz ohne Haare, der Anzug immer dreiteilig, und die Taschenuhr trägt er mit Kette, so wie das früher üblich war. Johann Wanner mit den Rentieren in der fliegenden Kutsche, das kann ich mir gut vorstellen. „Ich lebe hier im Kitsch, im Märchenland“, erklärt Wanner. „Aber ich mag auch einfache, ruhige Sachen. Archaisches im Gegensatz zum Bunten. Im Spannungsfeld zwischen dem Einfachen und dem Überbordenden gibt es ein Magnetfeld, in dem ich mich gerne bewege.“ Und wie lebt er privat? „Mein Zuhause ist mein Geschäft. Ich lebe hier nicht anders als privat. Das Geschäft ist auch ein privater Teil. Wenn Sie das hier sehen, dann sehen Sie, wie ich lebe.“

Wie ist Johann Wanner aus Basel zum „Christbaumexperten“ (Sat1), zum „Herr der Kugeln“ (ZDF) und, laut Wikipedia, zu einem der „weltgrößten Hersteller und Händler von handgefertigtem Weihnachtsschmuck“ geworden, der in der „Welt“ so zitiert wurde: „Der Baum ist erst überschmückt, wenn er umfällt.“ Er sagt es gerne so: „Mit 23 Jahren habe ich aufgehört zu arbeiten. Wie kommt es, dass ich trotzdem eine Sechzig- oder Siebzig-Stunden-Woche habe? Ganz einfach: Ich habe meine Leiden­schaft zum Beruf gemacht.“ Johann Wanner wurde 1939 in Basel geboren. Der Vater war Buchbinder und hat ihm die Freude am Schönen und Echten vermacht. Der junge Johann will zuerst Musiker werden, lernt dann aber doch Kaufmann. Mit Anfang 20 packt er alles in eine 2-CV-Ente und tourt zwei Jahre lang durch die Welt, lebt unter anderem bei den ­Beduinen und beschäftigt sich mit arabischer und altägyptischer Kunst. Zurück in Basel eröffnet er ein Antiquitäten­geschäft. Schon damals liebt er alles Weihnachtliche. Zu dieser Zeit, in den Sechzigerjahren, war gerade der skandinavische Stil angesagt: Strohsterne, transparente Glaskugeln, Äpfel und rote Kerzen aus Bienenwachs. Eines Tages betritt ein Bankdirektor aus Thüringen das Geschäft – unter dem Arm einen Karton mit altem Christbaumschmuck aus Glas. Johann Wanner ist aufgeregt. Die alten Kugeln sind schnell ausverkauft, und also begibt sich der zukünftige Mister Weihnachten nach Thüringen, um die Glasbläser zu finden, die dieses Handwerk noch beherrschen. Er gibt gleich eine halbe Million Kugeln in Auftrag und verhilft damit der darbenden Glasbläserkunst zu einem unglaublichen Aufschwung. „Ich war eine Art James Bond des Weihnachtsschmucks – ich hatte die Lizenz zum Kaufen“, lacht der knubbelige Nikolaus aus Basel heute. Es war nämlich alles nicht so einfach. Thüringen war Teil der DDR, und um die Lizenz zu bekommen, musste er das Regime überzeugen, dass sich Geschäfte mit Johann Wanner lohnen. Und so ließ er für 500.000 Ostmark jährlich Baumschmuck anfertigen, die er dann als „Kulturgut“ deklariert ausführen durfte. „Diese Ausfuhrgenehmi­gung hatte ich exklusiv“, sagt er, und man sieht, dass er auch heute noch stolz ist, diese Tradition eigenhändig ­wiederbelebt zu haben.

Die Christbaumkugeln, die müssen für Johann Wanner ein bisschen sein wie Kartoffeln – mundgeblasen und eben nicht zu perfekt. Am erfolgreichsten sind grad die pastellfarbenen Kugeln mit den Punkten. Punkten aus weißem Schneegestöber, als hätte ein Engel draufgehustet. Er selbst steht auf die schwarze. „Das ist meine Lieblingskugel. Sie wirkt wie ein schwarzer Spiegel. Der Hintergrund ist verklärt, aber die Lichtpunkte, die sind ganz scharf. Wenn schwarze Kugeln am Baum hängen, dann hat das etwas Mystisches.“ Und was darf sonst nicht fehlen am Weihnachtsbaum? „Licht hat immer Schatten, und ich hänge als Markenzeichen immer einen Teufelskopf an den Baum. Der Teufel gehört nämlich zum Leben und muss sichtbar sein. Wenn ich ihn aus den Augen verliere, kommt er von hinten und schnappt mich.“

Johann Wanner ist ein Mann der Gegensätze. Und deshalb ist seine dritte Leidenschaft, nach Weihnachten und nach der Bühne, der Sport. Jedes Jahr ist der Kunsteisläufer in Davos auf der größten Natureisbahn Europas anzutreffen. „Der Sport bringt mir Geschwindigkeit im Geschäft. Sagen wir es so: Ich bleibe nicht am Tisch kleben. Der Körper ist ein Motor, der laufen muss, und wenn der einrostet, dann ist’s nicht mehr gut.“ Wanner mag aber auch die anderen Motoren. Zum Beispiel seinen Rolls-Royce, der irgendwie zu Basel gehört. „Wie gesagt, ich mag ihn gerne, den englischen Stil. Das ist die andere, strenge Seite, mit der ich mich ausdrücke. Meine Autos sind immer englisch. Es gibt den Rolls-Royce und dann noch einen Land Rover, und zwar das Kistenmodell aus Aluminium, das Urmodell. Der Rolls-Royce ist natürlich ein sehr schönes Auto. Den habe ich vor zwanzig Jahren gekauft, es ist das letzte Modell, das die Engländer gemacht haben. Er ist innen schwarz und außen austerngrau und mit austernfarbenem Leder. Wenn ich ins Lager muss, dann nehme ich allerdings das Tram.“

Johann Wanner, immer positiv, immer fröhlich, immer tolerant. Gibt es etwas, was ihm schlechte Laune macht? Was ist mit den Amerikanern und ihren an Hausfassaden kletternden Weihnachtsmännern aus Plastik? Wanner lacht wieder. „Die Amerikaner sind sehr spontan. Wir haben den guten Geschmack ja nicht gepachtet. Und es gibt übrigens Plastikbäume, da sieht man keinen Unterschied. Nur riechen sie halt nach nichts. Aber mein ureigener, privater Baum, der ist echt.“

Jetzt brauchen wir noch ein paar Tipps: Was sind denn die besten Bäume? „Für mich ist das die Föhre, eine Rottanne. Die habe ich am liebsten – gerade weil sie so unregelmäßig ist. Sie riecht gut. Und wenn man sie richtig behandelt, dann halten die Nadeln sehr lange. Nordmanntannen sind auch schön und edel. Aber sie sind manchmal fast monatelang unterwegs, dann krümmen sich die Nadeln nach oben. Man sieht, dass der Baum leidet, er verdurstet. Das macht keine Freude.“ Und was ist nicht schön an Weihnachten? „Der Glühwein. Den gibt es nicht bei mir. Das ist ein Verbrechen, den Wein so kaputt zu machen. Und wie das in die Textilien reingeht, da müsste ich die ganze Weihnachtsstube desin­fizieren.“

Wanners Welt
 
Wer es nicht schafft, nach Basel zu reisen, kann die erlesene Kunst des „Herrn der Kugeln“ auch in Büchern oder auf seiner Website bewundern
&nbsp
Gleich drei Bild­bände mit Weih­nachts­tipps sind 2010 im Herder Verlag erschienen. Beste Wahl für Einsteiger ist „Johann Wanners wunderbare Weihnachts­welt“. Hier bekommt der Leser Einblicke in die Philosophie von „Father Christmas“ (so nennt ihn die New York Times), zudem findet sich Spannendes über die Geschichte des Christbaums. Wertvolle Anregungen, angefangen bei der Wahl des Baums, aufgehört bei der Farbkombination der Kugeln, runden das Buch ab (ISBN 978-3-451-30365-4; 16,95 Euro). Die Bücher gibt es noch über Amazon, den Rhenania Buchversand oder auf der Website von Johann Wanner zu bestellen.
 
Spalenberg 14, CH-4051 Basel, www.johannwanner.ch