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Ambrotypie – Blicke für die Ewigkeit

Ambrotypie – Blicke für die Ewigkeit. Lightcatcher Kurt Moser.

Herz auf Glas: die monumentalen Unikate des Südtiroler Fotografen Kurt Moser © Foto: Kurt Moser

»Es geht darum, Licht in Kunstwerke zu verwandeln und diese real erscheinen zu lassen«

Der Fotograf Kurt Moser will das Licht einfangen. Das machen eigentlich alle Kameras. Doch der Südtiroler Einzelkämpfer ist mit archaischer Technik unterwegs – die neben dem Motiv eine einzigartige Magie aufs Bild bannt

31. Oktober 2016, 15 Uhr 18. Wolkenloser Himmel über der Rosengarten-Gruppe. Jetzt. Genau jetzt strahlt das Licht in der perfekten Härte. Das ist der Moment, auf den er mehr als zwei Tage lang hingearbeitet hat. Die riesige Kamera ist positioniert. Die Blendenzahl ist bestimmt, die Verschlusszeit auf drei Sekunden berechnet. Das Motiv, die weltberühmte Rotwand, bekommt in diesem Moment die maximale Dosis UV-Licht ab. Kurt Moser lüftet die Abdeckung des Apo Nikkor Objektivs, das mit einer Brennweite von 1210 mm maximale Schärfe garantiert. Ein hoffnungsvolles Lächeln huscht über sein Gesicht. Denn heute, so scheint es, spielt das Licht mit. Zwei, drei, Moser, der hier aufgewachsen ist, zählt leise mit und bringt dann den Deckel wieder an. Sofort ist der 50-Jährige wieder hoch konzentriert. Schnellen Schrittes trägt er die 50 mal 60 Zentimeter große Kathedralglasplatte in die mobile Dunkelkammer. Nun gilt: keinen Fehler bei der Entwicklung und Fixierung machen. Die nächsten fünf Minuten im Dunkel des Mercedes Sprinter entscheiden, ob ihm die Ambrotypie gelungen ist.

Rückblende. Vor drei Jahren ist Kurt Moser in Mailand auf der Suche nach alten Objektiven. Und auf der Suche nach sich selbst. Drei Jahrzehnte war der Südtiroler als Kameramann für europäische Fernsehanstalten an den Brennpunkten der Welt unterwegs. Klar, als Meister seines Faches liefert er erstklassiges Bildmaterial. Doch was bleibt davon? Bewegte Bilder, die nach ihrer Ausstrahlung im Archiv verschwinden – das ist dem Mann mit den dunkelgrauen, schulterlangen Haaren zu wenig. Er möchte von nun an etwas Dauerhaftes schaffen. Weg vom vergänglichen digitalen Bild, zurück zur analogen Technik, die ihn Kunstwerke schaffen lässt, die überdauern.

Der Künstler
 
Zurück zum Ursprung
Der in Südtirol geborene und nach vielen im Ausland verbrachten Jahren nun wieder in Kaltern lebende Kameramann hat 30 Jahre für die wichtigsten internationalen Fernsehanstalten gearbeitet. Heute ist er umso mehr darauf bedacht, gegen Vergänglichkeit und Vergessen zu arbeiten und sich die Zeit für das zu nehmen, was ihm wichtig erscheint.
 
Mehr Informationen auf dem Facebook-Profil von Kurt Moser
 
Ambrotypie – Blicke für die Ewigkeit. Lightcatcher Kurt Moser.

Das Lightcatcher-Projekt
 
Die Lkw-Kamera: Dieser russische Militärlaster mutiert zu einer der größten mobilen Kameras der Welt. Durch eine Öffnung im hinteren Teil des Ural wird eine Optik geführt, die es ermöglicht, Glasplatten bis zu einem Format von 120×150 Zentimetern zu belichten
 
Mehr Informationen unter www.lightcatcher.it
 
Ambrotypie – Blicke für die Ewigkeit. Lightcatcher Kurt Moser.

Ambrotypie – Blicke für die Ewigkeit. Lightcatcher Kurt Moser.

Einmalig: Ein mit Ambrotypie erzeugtes Bild kann weder kopiert oder vervielfältigt, noch verkleinert oder vergrößert werden. Jede Glasplatte ist ein unwiederholbares Unikat © Foto: Kurt Moser



 

Dann hört er von der Auflösung eines Studios für Portrait-Fotografie und entdeckt dort das Ding, das sein Leben verändern wird: eine riesige, relativ gut erhaltene Balgen-Kamera der Firma Bellows aus dem Jahre 1907. Zentimeterdick liegt der Staub auf dem unscheinbaren Apparat aus Holz. Doch für Moser ist es Liebe auf den ersten Blick. Obwohl er ahnt: Wenn er dieses Geschenk Gottes für sich und seine Kunst nutzen will, muss er sein Handwerk neu erlernen. Denn das „Baby“, so nennt er seine neue Weggefährtin, führt ihn zum magischen Ursprung der Fotografie, zur Ambrotypie (aus dem griechischen ambros = ewig), zurück. In diesem 1850 von Frederick Scott Archer entwickelten Verfahren wird kein Film, sondern eine mit iod- und bromsilberhaltigen Kollodium beschichtete Platte aus schwarzem Kathedralglas belichtet. Dadurch wird ein Unikat erschaffen, das man weder kopieren oder vervielfältigen, noch verkleinern oder vergrößern kann. Ein derart hergestelltes Positiv garantiert eine Lebensdauer von mehreren hundert Jahren.

Es folgen Monate des Scheiterns. Kein Bild will Moser gelingen. Aber sein Ehrgeiz ist geweckt. Warum soll ihm nicht gelingen, was andere bereits vor mehr als 150 Jahren beherrschten? Unermüdlich beschichtet, entwickelt und fixiert er, akribisch hält er jede Kombination von Kollodium und Silber in einem Notizbuch fest. In Berlin besucht er einen Chemie-Kurs, weil er weiß, dass er sich an einer Schnittstelle von Naturwissenschaft und Kunst bewegt. Er lernt, dass er beim Umgang mit den verschiedenen Chemikalien aufpassen muss – nicht wenige Pioniere der Ambrotypie starben den Vergiftungstod. Als ihm das erste Bild gelingt, hat er Freudentränen in den Augen.

„Mittlerweile liegt meine Ausschussrate bei Aufnahmen unter freiem Himmel nur noch bei etwa 50 Prozent“, sagt Moser, als er aus dem Sprinter steigt und die Glasplatte ins abschließende Wannenbad legt. Es folgen Momente, die den ursprünglichen Zauber erahnen lassen, der bei der Entstehung einer Ambrotypie wirkt. Bis heute kann die Naturwissenschaft nicht exakt erklären, warum manche Kristalle der Silbernitratlösung auf das einfallende UV-Licht reagieren und sich schwärzen und andere nicht.

Ambrotypie – Blicke für die Ewigkeit. Lightcatcher Kurt Moser.

Ein großer Teil des Herstellungs­prozesses des Bildes liegt in der Vorbereitung, in Handarbeit, Geduld und Geschick. Die zum Teil gefährlichen Chemikalien werden von Moser selbst gemischt © Foto: Franz Michael Braunschläger

Ambrotypie – Blicke für die Ewigkeit. Lightcatcher Kurt Moser.

Trocknungsprozess in warmer Herbstsonne – noch Stunden nach der Belichtung „arbeitet“ die Ambrotypie weiter, bis sie schließlich mit Lavendelöl und Sandarakharz versiegelt werden kann © Foto: Franz Michael Braunschläger

»Glas, Silber und Licht verbinden sich ein einem chemischen – ja fast schon magischen – Prozess«

Ambrotypie – Blicke für die Ewigkeit. Lightcatcher Kurt Moser.

Keine zeitgemäße Technik ermöglicht es auch nur annähernd, die Dolomiten, die schönsten Berge der Welt, in einer derart intensiven Bildsprache darzustellen © Foto: Kurt Moser

 

Wie auch immer: plötzlich springen die Zacken und Grate der Rotwand unwirklich plastisch ins Auge. Kein Display, kein Fotopapier liefert eine derart intensive Bildsprache und Schärfe wie diese sündhaft teure Technik. Auch Moser ist zufrieden: Selbst die Vegetation unterhalb der Felsen zeichnet sich klar und deutlich ab. „Normalerweise entsteht dort nur eine konturlose schwarze Fläche“, sagt Moser, „weil die Vegetation – im Gegensatz zu den Felspartien – die UV-Strahlung absorbiert.“ Das müsse daran liegen, dass er heute nicht mit Offenblende gearbeitet hat, fügt er hinzu und staunt.

Moser ist sich bewusst, dass dies keine einfache Art der Fotografie ist. Aber er sieht das als Herausforderung und kämpft mittlerweile leidenschaftlich um jede Ambrotypie. „Gigantische Berge wie die Dolomiten, die für mich zu den schönsten der Welt zählen, verlangen geradezu nach gigantischen Kameras“, sagt Moser. „Ich möchte der Majestätik dieser Gipfel gerecht werden, deshalb nutze ich dieses Fotoverfahren. Es lässt diese faszinierenden Berglandschaften sozusagen aus der Welt fallen.“

Betrachtet man die Bergbauern-Portraits, die er in seinem Atelier am Kalterer See produziert, wird einem klar, was er damit meint: einem zweidimensionalen Medium fast greifbare Dreidimensionalität verleihen. Und in der Tat: die Furchen und Falten der Portraitierten mutieren auf dem Kathedralglas zu silbrig-schwarzen Berg-und-Tal-Landschaften, Augenpaare versprühen ätherisch leuchtende Blicke, ein stolzes Lächeln erstaunt durch unheimliche Lebendigkeit bass.

»Die Fotos sind ästhetisch einzigartig, ähnlich menschlicher Fingerabdrücke«

Ambrotypie – Blicke für die Ewigkeit. Lightcatcher Kurt Moser.

Heimspiel für den weitgereisten Künstler: Kurt Moser ist am Fuße der weltberühmten Rosengarten-Gruppe aufgewachsen und nutzt den Gipfel der Rotwand gern als Startpunkt zum Drachenfliegen © Foto: Franz Michael Braunschläger


 

Für Aufsehen in der Kunstszene sorgt Moser derzeit mit seinem neuen Projekt „Lightcatcher“. Sein Vision: er möchte einen russischen Militär-LKW zu einer der größten mobilen Kameras der Welt umbauen – mit integrierter Dunkelkammer. An Bord: das Objektiv APO Nikkor 1780mm. Es gilt seiner unübertroffenen Abbildungsleistung wegen als der „Heilige Gral“ der Fotografie. Weltweit sind nur noch sechs Exemplare davon im Einsatz. „Dass wir diese Optik erwerben konnten, war ein absoluter Glücksfal“, sagt Moser. „Denn damit kann ich endlich die einzigartigen Gipfel der Dolomiten mit einer einzigartigen Technik in einzigartigen Bildern im Format 150 zu 100 Zentimeter festhalten.“ Eine größere Ambrotypie lässt sich mit derzeitiger Technik nicht herstellen, doch dieser Superlativ birgt auch einige Tücken. So weiß Moser zum Beispiel noch nicht genau, wie er die dann noch anfälligeren Schwarzglasplatten, die übrigens nur noch von einer einzigen, in Böhmen beheimateten Firma hergestellt werden, gleichmäßig mit der Silbernitratlösung beschichten soll. Schon beim Format 50 zu 60 mutiert diese Prozedur regelmäßig zum Balance-Akt.

Bei einer Flasche Rotwein in Mosers Atelier in Kaltern betrachten wir schweigend das heute entstandene Rotwand-Bild, das noch immer „arbeitet“. Da entdecken wir ein paar bräunliche Flecken im unteren Teil der Ambrotypie. Aber „die lassen sich vor dem Versiegeln der Platte noch entfernen“, sagt Moser entspannt und stellt ein neues Glas auf den Tisch.

Michael Graf Enzenberg, der das nur wenige hundert Meter entfernte Weingut Manincor betreibt und das Lightcatcher-Projekt von Anfang an unterstützte, hat sich zu uns gesellt. „Mir imponiert, dass da einer ist, der unerschrocken an die geheimnisvollen Ursprünge der Fotografie zurückkehrt“, sagt der Graf. „Und mir gefällt der Enthusiasmus, mit dem er seine Kunst betreibt.“ Moser quittiert das Kompliment mit einem Lächeln – und einer gehörigen Portion Skepsis. Er weiß, dass er nun, nach zwei harten Jahren des Lernens, in der Lage ist, etwas Einzigartiges und Ewiges zu schaffen. Aber er weiß auch, dass es ihn jedes Mal all seine Kraft und Aufmerksamkeit kosten wird, das Licht zu fangen.

Ambrotypie – Blicke für die Ewigkeit. Lightcatcher Kurt Moser.

Ambrotypie-Fotografie ist äußerst zeitaufwendig und auch bei besten Lichtverhältnissen nur im eingespielten Team erfolgreich zu bewältigen © Foto: Franz Michael Braunschläger

Ambrotypie – Blicke für die Ewigkeit. Lightcatcher Kurt Moser.

Mit der zwei Meter großen Holzkamera aus dem Jahr 1907 können Motive bis zum Format 50 x 60 cm auf schwarzes Glas gebannt werden © Foto: Franz Michael Braunschläger

Ambrotypie – Blicke für die Ewigkeit. Lightcatcher Kurt Moser.

Hauptsächlich wird das „Baby“ für Portraits im Studio verwendet. Ihr großer Vorteil: Sie lässt sich auch in unzugängliche Gegenden bringen © Foto: Franz Michael Braunschläger