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Schneeschuh-Sagenwanderung – Wer hat Angst vor den armen Seelen?

Schneeschuh-Sagenwanderung – Wer hat Angst vor den armen Seelen? Aletsch Arena

Vom wohligen Gruseln in der Bergeinsamkeit: Schneeschuh-Sagenwanderung – „Gratzug“ in der Aletsch Arena. © Fotos: aletscharena.ch Christian Perret, Geri Berchtold, Monika König

Das Fegefeuer im Wallis ist eiskalt: In den Tiefen des Aletschgletschers verbüßen die armen Seelen ihre Sünden – und bisweilen ziehen sie nachts im Mondschein über den Grat. Wem das nicht zu gruselig ist, der folgt Bergführer Martin Nellen auf Schneeschuhen durch die UNESCO-gekrönte Landschaft der Aletsch Arena. In seiner abgelegenen Alphütte erzählt er bei Kerzenschein die uralten Sagen

Wenn Martin Nellen vom „Gratzug“ erzählt, der Wanderung der armen Seelen aus den Walliser Sagen, wird seine Stimme ganz ruhig und manchmal sogar ein klein wenig langsamer. Vielleicht spricht da einfach mehr sein Herz als sein Kopf – immerhin sind die uralten Erzählungen Teil seiner Kindheit, und ein Stück davon offenbart er bei den Sagenwanderungen auf Schneeschuhen. Immer nur ein knappes Dutzend Gäste kann teilnehmen, denn dem Bergführer ist es wichtig, dass es ein kleiner, intimer Kreis bleibt, der sich in der Dämmerung von der Riederalp unweit des Aletschgletschers aufmacht. Ein ganz praktischer Grund für die Gruppengröße kommt hinzu: In der abgelegenen Alphütte ohne Strom und fließend Wasser, zu der er die Leute führt, ist einfach nicht mehr Platz.

Schneeschuh-Sagenwanderung – Wer hat Angst vor den armen Seelen? Aletsch Arena

In Schneeschuhen zum Sonnenuntergang

„Manchmal fahren wir auch mit der letzten Bahn zur Moosfluh hinauf“, erklärt Martin, „dann geht es fast ohne Steigung hinüber zur Hütte.“ Von der Riederalp hingegen sind dreihundert Höhenmeter zu bewältigen. Doch der Aufstieg ist für durchschnittliche Wanderer gut zu machen – auch Zehnjährige hat der Bergführer schon mitgenommen. Bevor es losgeht, bekommen die Gäste ihre Schneeschuhe, mit denen man selbst im Tiefschnee ohne einzusinken gehen kann. Der Unterschied zur gewohnten Fortbewegung ist der ganz leichte „Watschelgang“, da die Schneeschuhe etwas breiter sind als Wanderschuhe. Außerdem erleichtern Trekkingstöcke das Vorankommen und geben zusätzlich Stabilität. Als sich die Gruppe in Bewegung setzt, hat sich die Sonne bereits von der Riederalp verabschiedet und steckt ihre ganze Kraft in die Beleuchtung der Wolken, die auf den Bergspitzen am Horizont sitzen: Ein goldenes Orange, das zu den Rändern hin apricotfarben ausfranst, hat sie sich ausgedacht. Und für die etwas wattigere Schicht darüber ein zartes Rosa.

Rechter Fuß, linker Fuß, einatmen, ausatmen…

Es ist ohnehin still auf dem autofreien Hochplateau der Aletsch Arena, das sich die Riederalp mit der Bettmeralp und der Fiescheralp teilt, und der Schnee schluckt noch die letzten Geräusche. Die Skifahrer und Snowboarder sitzen jetzt beim Feierabendbier oder in der Sauna, und unsere Wanderer schwingen sich langsam in ihren eigenen Rhythmus ein: rechter Fuß, linker Fuß, einatmen, ausatmen… Der Atem macht kleine Dampfwölkchen, die sich als Eiskristalle in den Augenbrauen niederlassen, und nach den Plaudereien, die die Wanderer zu Beginn noch versucht haben, stapft nun jeder, ganz in sich versunken, bergauf. Es ist fast eine Art Trance, in die man durch die gleichmäßige Bewegung fällt, es gibt nichts zu tun außer: rechter Fuß, linker Fuß, einatmen, ausatmen.

Schneeschuh-Sagenwanderung – Wer hat Angst vor den armen Seelen? Aletsch Arena

Kolkraben und ein schillerndes Himmelszelt

Irgendwann – der Himmel erinnert nur noch mit einem leisen hellen Streifen, der die Bergzacken als Scherenschnitt aufragen lässt, an den Tag – schreckt ein Schwarm Kolkraben die Wanderer aus ihrer Versunkenheit. „Wie bestellt“, denkt Martin Nellen, denn in seinen Sagen für die nächtliche Schneeschuh-Wanderung geht es häufig um Geister, denen ja bisweilen Rabengestalt nachgesagt wird. Inzwischen hat sich ein Nachthimmel aufgespannt in der klaren Luft, der fast unwirklich scheint: Es ist kaum Platz für das Schwarz des Himmels vor lauter Sternen. Martin bleibt stehen – und als sich die Gäste vom Anblick nicht mehr losreißen können, lockt er sie mit der Aussicht auf die warme Stube in seine nahe gelegene Alphütte mit der dicken Schneehaube auf dem Dach.

Schneeschuh-Sagenwanderung – Wer hat Angst vor den armen Seelen? Aletsch Arena

Die Sage vom schlaflosen Mann und dem Gratzug

Während er im Schein der Stirnlampe den Ofen anschürt und Glühwein aufsetzt, rücken die Wanderer um den Tisch zusammen, und als es wärmer wird in dem kleinen, gemütlichen Raum, werden Jacken ausgezogen und Handschuhe zum Trocknen aufgehängt. Der Kerzenschein flackert auf Martins Gesicht und lässt seinen Schnauzbart lustige Schatten werfen, doch seine Augen werden ernst, als er zu erzählen beginnt. Von dem Mann, der nicht einschlafen kann, sich im Bett hin und her wälzt und schließlich aufsteht: „Es ist schon nach Mitternacht, der Mann geht in die Küche, und da sieht er draußen, gar nicht weit entfernt“ – Martin schaut hinüber zu dem beschlagenen Fenster – „den Gratzug vorbeiziehen.“ Der Gratzug, wir erinnern uns, ist in den Walliser Sagen die Wanderung der armen Seelen. Sie büßen hier übrigens nicht im Fegefeuer, sondern in den Tiefen des Aletschgletschers. „Da bemerkt der Mann den Letzten“, erzählt Martin. „Der kommt ihm bekannt vor, wie er geht und überhaupt. Er sieht ihn nur von hinten, doch da fällt ihm auf, dass er einen einzelnen Strumpf über der Schulter liegen hat. Er schaut hinauf zur Ofenstange“ – die Gäste folgen Martins Blick zur Ofenstange – „und da sieht er den zweiten Strumpf hängen.“

Schneeschuh-Sagenwanderung – Wer hat Angst vor den armen Seelen? Aletsch Arena

Schneeschuh-Sagenwanderung – Wer hat Angst vor den armen Seelen? Aletsch Arena

Totenstille – und niemand will nach draußen

Mucksmäuschenstill ist es in der Hütte, nur das Feuer knistert im Ofen, winzige Explosionen bisweilen vom Harz im Holz. Der Wind fährt in den Kamin und rüttelt ein bisschen an den Fensterläden, als wolle er zeigen, dass er auch da ist. Martin erzählt die Walliser Sagen in der heimischen Mundart, wie er sie als Kind von seinen Großeltern hörte. Dann übersetzt er sie – und es geht dabei nichts von der Magie verloren. Das Publikum hält den Atem an, niemand hustet, alle möchten mehr. Als sich die Gruppe nach einer guten Stunde zum Abstieg bereit macht und Martin die Tür öffnet, will keiner als Erster raus.

Schneeschuh-Sagenwanderung – Wer hat Angst vor den armen Seelen? Aletsch Arena

Gut zu Wissen
 
Schneeschuh-Sagenwanderung – „Gratzug“
Bei Mondschein geht es von der Riederalp hinauf, zur schaurig schönen Rast, in eine urige Berghütte. Bei Glühwein und Walliser Imbiss werde alte Sagen erzählt.
Am 31.01.2018 / 02.03.2018 / 30.03.2018, ca. 3 Stunden, 65 CHF, www.skischule-riederalp.ch, T. +41/27/927 10 01
 
Schneeschuh-Sagenwanderung – auf Anfrage mit Fondue
Gruppen und Privatpersonen bietet Martin Nellen die Sagenwanderung ganz individuell und auf Anfrage mit Fondue an. 45 CHF inklusive Schneeschuhmiete, 80 CHF mit Fondue, www.bergsteigerschule-riederalp.ch, T. +41/79/372 93 73
 
Die Aletsch Arena
 
Die Ruhe ist unbeschreiblich auf dem sonnigen, autofreien Hochplateau der Aletsch Arena – und die Naturkulisse atemberaubend: Mitten im UNESCO-Welterbe Swiss Alps Jungfrau-Aletsch haben sich die urigen Bergdörfer Riederalp, Bettmeralp und Fiescheralp angesiedelt. Hier fährt man Ski statt Auto – letzteres wartet unten im Tal. Von der Haustür geht’s direkt auf die schneesicheren, weitläufigen Pisten – im Blick den 23 km langen Aletschgletscher und über 40 Viertausender. Wer es lieber ruhig angehen lässt, der schnürt die Stiefel und stapft los zu magischen Kraftorten in der Bergeinsamkeit.
 
Schneeschuh-Sagenwanderung – Wer hat Angst vor den armen Seelen? Aletsch Arena. Aletschgletscher bei Nacht mit Sternenhimmel Aletschgletscher bei Nacht mit Sternenhimmel © Foto: aletscharena.ch Markus Eichenberger
 
Anreise
Komfortabel mit Bus und Bahn
Günstig mit dem Fernbus nach Zürich (ab 14 Euro ab München).
Von dort mit dem Zug über Brig nach Mörel, Betten Talstation oder Fiesch.
Vom Zielbahnhof geht es via Luftseilbahn in die autofreie Aletsch Arena mit ihren idyllischen Bergdörfern Riederalp, Bettmeralp, Fiescheralp.
Ein komfortabler Gepäckservice steht den Gästen der Region zur Verfügung.
 
Mit dem Auto
Ausreichend Parkplätze vorhanden (in Mörel, Betten Talstation und Fiesch).
Parkgebühr im Winter ab 6 Euro/Tag, www.aletscharena.ch/parking
Gepäckwagen stehen zur Verfügung.