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Norbert Niederkofler – Wächst nicht, gibt´s nicht

Norbert Niederkofler

Rote Bete und gelbe Möhren sind keine Produkte, die Gourmets begeistern. Trotzdem will Norbert Niederkofler mit einer radikal regionalen Küche zurück zu den Wurzeln Südtirols. Nicht nur, um endlich seinen dritten Stern zu holen (ALPS Magazine #28 04/2015/2016 Review)

Um ein perfektes, modern interpretiertes Risotto kochen zu können, hat Norbert Niederkofler extra seine Küche aufrüsten lassen. Neben Thermomix, Induktionsplatten, Dampfgarer und Sous-vide-Gerät steht nun also ein traditioneller Holzherd, der per Hand befeuert wird. Nirgendwo sonst gelingt der Reis besser, meint Niederkofler. In der heißen Mitte der Platte schwitzt er gut an und zischt ordentlich beim Ablöschen. Am kühleren Rand simmert er leise der Sämigkeit entgegen.

Allerdings benutzt Niederkofler den Herd zurzeit eher selten. Während sich sein Team auf die Gäste vorbereitet, Milchferkel zerlegt und Molkebrot backt, entschuldigt er sich immer wieder und verschwindet in der kleinen Kammer neben der Küche. Durch das Fenster zum Flur kann man den Küchenchef dort an seinem Schreibtisch sitzen sehen, in fleckenloser Kochjacke und mit Headset im graumelierten Fünftagebart. Hier arbeitet er daran, Südtirol eine neue kulinarische Identität zu geben.

Das Restaurant „St. Hubertus“ in St. Kassian am Fuße der Dolomiten war eine schlichte Pizzeria, bevor Niederkofler sich erst den einen und später den zweiten Stern erkochte. Lange her, denkt man, wenn man so am Kamin steht, die Geweihe an den Wänden zählt und hört, dass Michelle Hunziker mit Familie gerade zwei Wochen hier war, nebenan, im zugehörigen Hotel „Rosa Alpina“.

Bekannte Menschen essen im „St. Hubertus“, auch ein Privatier aus Verona, der sich dreimal in der Woche mit dem Hubschrauber herfliegen lässt. Vor allem aber sind es Russen, Amerikaner, Kasachen. Nach Südtirol kommen 30 Prozent der Reisenden allein wegen der hochkarätig ausgezeichneten Gastronomie, von der sie im „Guide Michelin“ lesen.

Norbert Niederkofler. Im „St. Hubertus“, Niederkoflers Wirkungsstätte im Südtiroler St. Kassian, arbeiten viele junge ambitionierte Köche. Für sie ist der Verzicht auf Luxusprodukte eine willkommene Herausforderung

Im „St. Hubertus“, Niederkoflers Wirkungsstätte im Südtiroler St. Kassian, arbeiten viele junge ambitionierte Köche. Für sie ist der Verzicht auf Luxusprodukte eine willkommene Herausforderung © Foto: Ludwig Schöpfer

Niederkofler kennt die Statistik. Er selbst ist auch so ein Sterne-Tourist, berufsbedingt. Jedes Jahr im Frühling oder Herbst, wenn das Restaurant geschlossen hat, verbringt er mit seiner Frau und dem kleinen Sohn einen Monat in Übersee, um gut zu essen. Zuletzt in den USA, davor in Shanghai und Peru. Aber das Reisen macht ihm nicht mehr so viel Spaß wie früher. „Was mich nervt, ist, wenn ich irgendwo sitze und nicht weiß, wo ich bin. Ich fliege kreuz und quer durch die Welt und bekomme überall das Gleiche serviert.“

Den Russen, Amerikanern, Kasachen, denkt er, geht es doch im Grunde genauso. Kobe-Beef, Hummerschwänze, Foie Gras und Kaviar, also das Standard-Repertoire der Haute Cuisine, hat er deswegen von seiner Karte genommen. Sogar die Meeresfischgerichte, für die er früher in der Szene bekannt war. Stattdessen gibt es nun Produkte aus der Region. Einfach, aber unverwechselbar. Gerichte, inspiriert von den Traditionen der Einheimischen, in die er sich Tal für Tal mithilfe von Historikern, Produzenten und Zeitzeugen einarbeitet.

„Ich will den einfachen, den puren Geschmack erreichen, die Südtiroler Natur auf den Teller tun“, sagt Niederkofler.

Südtirol besteht zu fast 50 Prozent aus Wald, da ist es nur konsequent, ein paar Stunden später das Menü des Abends mit einem entsprechenden Amuse Geule beginnen zu lassen. Dieser Wald ist dreiteilig und besteht aus einer Praline mit Kakaobutter und Steinpilzbröseln, einem salzigen Haselnussmacaron und einem Gläschen, das mit einer rötlichen Flüssigkeit gefüllt ist: ein Sud aus Fichte, leicht gegoren, versetzt mit wenigen Tropfen einer Rote-Bete-Reduktion. Dieser Shot, zusammen mit dem falschen Trüffel und der Nuss, schmeckt tatsächlich so, wie es im Wald riecht, wenn es in der Nacht geregnet hat und am Morgen die Sonne auf den feuchten Boden brennt, während man auf einer Lichtung Pilze und Tannenzapfen sammelt.

Norbert Niederkofler. Auf seinem halben Hektar Land südlich von Bozen baut Gemüsebauer Harald Gasser Sorten an, die Niederkofler begeistern – unter anderem 16 verschiedene Möhren

Auf seinem halben Hektar Land südlich von Bozen baut Gemüsebauer Harald Gasser Sorten an, die Niederkofler begeistern – unter anderem 16 verschiedene Möhren © Foto: Ludwig Schöpfer

Vom Wald sind es nur ein paar Minuten in den Garten. Weinbergschnecken verstecken sich zwischen einem Gelee aus Petersilie und kleinen Häufchen aus essbarer Erde, auf denen Keimlinge von Knoblauch, Bohnen und Erbsen blühen. Den Teller begleitet eine Tasse mit japanischem Tee, der sehr theatralisch dampft und dabei nach Ackerscholle riecht. Und dann durch den Stickstoff so unschön ausflockt, dass ihm der Kellner schnell einen Deckel aufsetzt. Zum Trinken ist ohnehin ein Gewürztraminer gedacht.

Mit diesem frischen, grünen Gartengeschmack auf der Zunge geht es hinauf auf die Alm. Senkrecht von oben sieht sie aus wie ein Kräuterbüschel, das in einem moosigen Brunnen liegt. Tatsächlich ist es ein Bergkräuterbüschel auf einer Kelle wunderbar cremigen, nussigen Gerstenrisottos, gekocht auf dem Holzherd und gewürzt allein mit Ziegenbutter und Bergpfeffer. Darüber glänzt ein hellgrünes Gelee aus Zitronenverbene, das so erfrischend schmeckt, wie sonst nur handgeschöpftes Bergquellwasser.

Nun ist das alles hier ja eigentlich nichts Neues. Gerichte, die ein Stück Natur spiegeln. So etwas kennt man aus Kopenhagen, aus dem „Noma“, zuletzt 2014 zum besten Restaurant der Welt gewählt. Dessen Chefkoch serviert Moose, Baumnadeln und Strandgras und was er sonst noch so findet beim Spazieren durch Dänemark. Er hat es geschafft, dass heute die Russen, Amerikaner, Kasachen kommen, um nordische Küche zu essen, während vor ein paar Jahren nicht mal die Dänen wussten, was das eigentlich ist.

„Der verbotene Rettich aus Japan kommt jetzt vom Nachbarn“

„Das ‚Noma’ hat bei null angefangen, alles neu gemacht, das ist natürlich viel einfacher als bei uns“, findet Niederkofler. Diese Südtiroler Mischung aus österreichischer Küche und italienischen Einflüssen, die jeder kennt, gilt es für ihn immer wieder neu umzusetzen, zu verändern, zu interpretieren. Die Klassiker, ob Apfelstrudel, Pressknödel oder Insalata Caprese, sind dabei in ihren Geschmackskombinationen oft schon so genial, dass er sie nur auseinanderbaut und etwas schicker und eleganter wieder zusammensetzt.

Anders als das „Noma“ will Niederkofler auch keine 20-gängigen Degustationsmenüs an-bieten, sondern eine Küche „für jeden Tag“. Es geht ihm nicht nur um Kopferlebnisse, sondern genauso um potenzielle Lieblingsessen, die leicht zu verstehen sind. Das aktuell meistbestellte Gericht ist weder Wald, Garten noch Alm, sondern ein sehr eingängiger Teller voll Rote-Bete-Gnocchi, die warm und rund schmecken und mit flüssigem Daikon gefüllt sind. Daikon? Ist das nicht ein japanischer Rettich und damit verboten? Stimmt. Nicht aber, wenn er nur zwei Autostunden vom „St. Hubertus“ entfernt zwischen Glücksklee­rübchen und Erdmandeln wächst.

Norbert Niederkofler lässt sich von kleinen und Kleinstherstellern beliefern – der Käse etwa stammt oft von Sennereien, die direkt auf der Alm produzieren

Niederkofler lässt sich von kleinen und Kleinstherstellern beliefern – der Käse etwa stammt oft von Sennereien, die direkt auf der Alm produzieren © Foto: Ludwig Schöpfer

Weil Südtirols Flora durch Spaziergänger weitgehend erschlossen ist, es in der Sterneküche aber nicht ohne aufregende Neuentdeckungen geht, ist Niederkofler auf die Lust des Südtiroler Gemüsebauern Harald Gasser am Experimentieren angewiesen. Auf dem halben Hektar Land in Hanglage südlich von Bozen baut der 37-Jährige mehr als 200 verschiedene Gemüse- und Kräutersorten an. Manche sind Exoten wie der unglaublich scharfe Wasserpfeffer, der sofort den Mund des Besuchers betäubt. Andere waren über die Jahrhunderte in Vergessenheit geraten; die Erdmandeln zum Beispiel. Fingernagelgroße Wurzelchen holt Gasser davon aus der Erde, früher allenfalls als Kaffeeersatz genutzt, heute für ihr leichtes Kokosaroma geschätzt. Sie sind so aufwendig zu ernten, dass Gasser für ein Kilo um die 25 Euro verlangt.

In seine Scheune hat er sich eine postergroße Tabelle gehängt, die „Matrix“. Hier trägt er ein, ob sich die Rote Bete gut mit Rotem Mangold versteht oder doch besser mit dem Chinesischen Portulak. Er pflegt eine ungewöhnliche und extreme Form der Mischkultur, die er „Pflanzgemeinschaften“ nennt. Gerade ist er dabei, die Rüben zu erziehen. Wasser bekommen sie erst, wenn die Feuchte der Nacht nicht ausreicht und sie um fünf Uhr morgens immer noch schlapp sind. „Ich will, dass sie tief runter wurzeln, das macht sie gesünder. Und Stress gibt Geschmack.“

Das Rezept

Linguine mit Tomaten-Popcorn

GRUNDLAGE IST EIN KRÄFTIGES TOMATENWASSER, IN DEM AUCH DIE NUDELN GEKOCHT WERDEN

Zutaten: 500 Gramm Tomaten, 250 Gramm Traubenkernöl, 2 Gelantineblätter, Basilikum, Salz, Pfeffer

Zubereitung: [1] Für das Tomatenwasser Tomaten im Thermomix mit Basilikum mixen, mit Salz und Pfeffer abschmecken und durch ein feines Sieb abtropfen lassen.

[2] 250 Gramm Tomatenwasser mit Öl im Thermomix auf 60° C bringen, die eingeweichte Gelatine dazugeben und abkühlen lassen. Mischung in einen Siphon füllen und in flüssigen Stickstoff sprühen.

Norbert Niederkofler. Sieht vielleicht eher farblos aus, schmeckt aber intensiv rot: die Kamut-Linguine kocht Niederkofler in Tomatenwasser, dazu gibt es Kalbsbries und Tomaten-Popcorn

Sieht vielleicht eher farblos aus, schmeckt aber intensiv rot: die Kamut-Linguine kocht Niederkofler in Tomatenwasser, dazu gibt es Kalbsbries und Tomaten-Popcorn © Foto: Ludwig Schöpfer

 
Gasser kneift die Augen zusammen und lacht laut, wenn er eine seiner Anbaumethoden erklärt hat. Es ist ihm aber todernst mit seiner Wurzelrevolution, an die vor zehn Jahren noch niemand geglaubt hat. Er verzichtet konsequent auf Spritz- oder Düngemittel, bringt trotzdem die seltsamsten Pflanzen zum Wachsen und schafft es, dass seine 16 verschiedenen Karottensorten ihren jeweils charakteristischen Geschmack entwickeln.

Seine Ernte geht fast ausschließlich in Sterneküchen. Für Niederkofler sind die krummen Rüben zwar viel schwieriger zu verarbeiten als die stramme Supermarktware. Aber die Leute mögen Individuen auf dem Teller, Möhren mit Charakter, die immer anders aussehen und schmecken. Dieses Natürliche, Unperfekte ist Teil des Konzeptes, das er „Cook the mountain“ genannt hat. Richtig übersetzen lässt sich das nicht. Den Berg kochen, das heißt für Niederkofler: „Man muss nehmen, was die Natur einem gibt, ihrem Rhythmus folgen und das Beste daraus machen.“

Während er früher einmal pro Woche seine Bestellung bei seinem Gourmet-Lieferanten aufgegeben hat, der ihm auch Erdbeeren im Januar brachte, ist er nun in ständigem Kontakt mit den einzelnen Produzenten. Harald Gasser etwa verlangt schon Anfang des Jahres eine grobe Vorbestellung. Dann sät er dementsprechend aus und lagert zwischen Moos und Sand ein für den Winter. Wenn aber die Tomaten wie im vergangenen Sommer an den Sträuchern verkümmern, muss Niederkofler das Tomaten-Popcorn auf der Karte streichen. Er arbeitet dann zum Beispiel mehr mit Roter Bete.

Beim Fleisch ist ein Ersatz schwieriger zu finden. „Wir sind mit der Qualität noch lange nicht da, wo ich hin will“, sagt Niederkofler und ordert deswegen oft noch überregional. Immerhin konnte er mit Gassers Hilfe fünf Bauern überzeugen, für ihn iberische Spanferkel aufzuziehen. Erst nach etlichen Kreuzungsversuchen hatten sie die für Südtirol passende Rasse gefunden.

„Ich fliege kreuz und quer durch die Welt und bekomme überall das Gleiche serviert“

Viele Bauern sind skeptisch, ob sich der Aufwand für sie lohnt. Sie bleiben lieber bei ihren konventionellen Methoden für den Massenmarkt, billig, aber kalkulierbar. Dabei kauft Niederkofler grundsätzlich ganze Tiere ab, damit die Bauern nicht auf den unbeliebten Teilen sitzenbleiben. Die Zubereitung von Innereien und Bauch kostet ihn zwar einen deutlich höheren Aufwand, als ein Filet zu braten. „Aber ich tue das, um unsere Vielfältigkeit zu erhalten. Wenn die kleinen Bauern verschwinden, verwildert uns das alles hier. Welcher Tourist kommt dann noch?“

Und da ist noch etwas anderes. Norbert Niederkofler ist jetzt 54, da habe es ihn gereizt, noch mal was Neues zu machen. Beispielsweise sich freiwillig zu reduzieren, „es sich saumäßig schwerzumachen“, um dadurch kreativer zu werden. Gourmets mit Kutteln zu begeistern. Damit vielleicht sogar endlich den dritten Stern zu bekommen. Und auch dabeizubleiben, wenn es nicht so sein sollte.

80 Prozent seiner Produkte kommen inzwischen aus der Region. Einen großen Sprung nach oben hat er gemacht, seit er nicht mehr Öl aus Oliven verwendet, sondern aus Traubenkernen. Doch es ist nicht die Zahl, die Niederkofler reizt. Es geht ihm um ein kostbares Gewürz namens Verzicht. „Als Kind an Weihnachten Orangen zu essen, das einzige Mal im ganzen Jahr – dieser Geschmack ist für mich bis heute einfach das Größte.“

Notizen
 
RESTAURANT ST. HUBERTUS
Strada Micurà De Ru, 20,
San Cassiano in Badia, +39 0471 849500
 
Infos unter www.rosalpina.it/de/restaurant-st-hubertus.htm