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Vallée de la Clarée – Auf historischen Pfaden vorbei an tiefblauen Bergseen, hinauf auf den fantastischen Gipfel des „La Gardiole“, auf 2724 Meter

Vallée de la Clarée – Auf historischen Pfaden vorbei an tiefblauen Bergseen, hinauf auf den fantastischen Gipfel des „La Gardiole“, auf 2724 Meter

© Fotos: Katrin Böckelen

Auf dem Gipfel des „La Gardiole“ haben wir eine atemberaubende Aussicht auf die prominentesten und höchsten Gipfel Frankreichs: „Barre des Écrins“ und „La Meije“. Diese beiden gewaltigen Bergmassive mit ihren wilden Gletschern sind zum Greifen nah, wenn man das 360-Grad-Panorama auf diesem besonderen Aussichtsberg genießt

Baguette, Croissant, Crêpes und Bussibussi … Richtig, die Reise geht nach Frankreich! Genauer gesagt: in die Dauphiné–Alpen. Unser Ziel ist die Bergstadt Briançon, welche eine Partnerschaft mit Rosenheim in Bayern unterhält. Auch wenn die beiden Städte sehr weit auseinander liegen und auch sonst sehr unterschiedlich sind, haben sie doch eines gemeinsam: die Berge.

Briançon liegt direkt in den Hautes–Alpes in der Region Provence–Alpes–Côte d’Azur an der italienischen Grenze. Die befestigte Altstadt kann sogar einen Rekord verzeichnen: Sie gilt als die höchstgelegene Stadt in der Europäischen Union. Mit 1326 Metern thront sie quasi 886 Meter über Rosenheim. Dieser Höhenunterschied entspricht in etwa dem vom Ort Neuhaus am Schliersee hinauf zur Brecherspitz! Da wird die Luft schon dünner …

Eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten dieser Stadt ist die von Sébastien Le Prestre de Vauban entworfene Festungsanlage „Cité Vauban“, welche im Jahr 1815 einem Angriff der Österreicher und 1940 italienischen Angriffen widerstand.

Auf den Spuren des Krieges sind wir auch auf der heutigen Bergtour. Im Gipfelbereich des „La Gardiole“, hoch oben am Gebirgskamm, erinnert uns ein historisches Erbe in Form einer lang gezogenen, steinernen Mauer und einigen kleinen Stellungen an vergangene, blutige Zeiten. Der Startpunkt Vallèe de Clarèe liegt im französisch–italienischen Grenzgebiet, welches früher hart umkämpft war. Nicht auszumalen, wie viele Menschen ihr Leben für diesen schrecklichen Machtkampf geben mussten.

Im friedlichen, naturgeschützen Tal am Parkplatz Fortville–Clarée (1588 m), unserem heutigen Startpunkt, welcher direkt am gleichnamigen Fluss liegt, ist von dieser brutalen Zeit nichts zu spüren. Vögel zwitschern, das Wasser plätschert leise dahin, der Wind spielt mit den Zweigen der Lärchen … Hier ist Welt noch beziehungsweise wieder in Ordnung.

Die zahlreichen Gipfel und Seen dieser Region sind über ein vielfältiges Wanderwegenetz verknüpft und bieten sich als Ziele für kleine und größere Bergtouren an. Gut zu wissen: Die „Réfuges“, in der Regel einfache Berghütten mit Übernachtungsmöglichkeiten, liegen gut erreichbar auf 2000 bis 2200 Metern Höhe. Wanderer und Bergsteiger erreichen sie über anspruchsvolle Touren durch das Hochgebirge. Doch heute wollen wir eine größere Tagestour machen, die uns in einer Runde am selben Tag wieder zurück ins Tal bringt.

Der Rucksack wird geschultert, die Stöcke ausgefahren und schon gehts los. Wir überqueren die Brücke und folgen der Longet-Schlucht auf dem Forstweg nach Süden. Der Weg wird schmäler und schlängelt sich flach am Hang entlang. Immer wieder öffnen sich Lücken im Nadelwald. Unter uns sehen wir das Dorf „Le Cros“ und die umliegenden, steilen Berge. Nach zirka 500 Höhenmetern kommen wir an einer Weggabelung vorbei, wo sich die Wege auf 2090 Metern trennen. Wir müssen dem Pfad GR–57 Richtung „Lacs de lÓule“ folgen.

Es geht weiter durch lichten Lärchenwald. Der blaue Himmel und die warmen Sonnenstrahlen blinzeln zu uns hindurch auf den Waldboden. Das tolle an dieser Region: Schlechtes Wetter gibt es selten. Die Sonne scheint hier fast täglich, was die Planung der Aktivitäten sehr erleichtert. An vielen Häuserfassaden sind Sonnenuhren angebracht, ein Hinweis auf das sehr sonnige Klima der Region.

Wir lassen den Wald hinter uns und tauchen ein in eine sonnendurchflutete Hochebene. Die ockerfarbene Gras– und Weidelandschaft wird nur noch von wenigen, kleinen Lärchen gesäumt. Ansonsten versperrt uns nichts mehr die Sicht. Gegenüber erhebt sich eine karstige Bergkette  mit unzähligen Schuttfeldern. Darüber ein makelloser, blauer Himmel, der eine hervorragende Fernsicht zulässt.

Weiter geht’s auf grasigen Pfaden. Der erste Bergsee, welchen wir auf unserer Rundtour erreichen, ist der „Lac La Barre“ auf 2403 Meter. Es gibt fast keine bessere Kombination als das Tiefblau eines Bergsees und die schroffen Felsformationen der Berge im Hintergrund. Die gelbe Steppenlandschaft drumherum taucht alles in warme, harmonische Farbtöne. Ein Augenschmaus!

Der Pfad schlängelt sich vorbei an zahlreichen grünen, mit Flechten bewachsenen Steinen. Nach nur 20 Höhenmeter stehen wir auch schon am zweiten Gewässer, dem „Lac de l’Óule“. Nach insgesamt 5,3 Kilometern erreichen wir diesen wunderschönen Bergsee auf 2428 Metern.

Ein schmaler Trampelpfad führt um den See. Von dort lässt er sich von verschiedenen Perspektiven fotografieren und bewundern. An manchen Stellen betreten wir moorige, sumpfige Wiesen. Wer keine nassen Füße möchte, sollte Abstecher vermeiden und auf dem Weg bleiben. Auch der Natur zuliebe.

Nach einer kurzen Erkundungstour führt uns der Pfad weiter hinauf über Wiesen und steinige Abschnitte zum Sattel des „Col de l’Óule“ (2549m), der bald deutlich sichtbar wird. Von dort haben wir eine herrliche Aussicht auf die andere Seite des Tales. Anschließend steilt der Weg deutlich auf. Die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel. Die Hitze lässt die verbleibenden 200 Höhenmetern anstrengend werden.

Vorbei an der erwähnten Grenzmauer führt der Pfad ohne große Umwege steil nach oben. Auf den letzen, schweißtreibenden Metern entdecke ich viele, zum Teil noch intakte Stellungen. Unzählige, in harter Arbeit aufeinander geschichtete Steine haben damals monatelang als Behausungen gedient. Verrosteter Stacheldraht und alte zerbröselte Konservendosen lassen mich gedanklich kurz in die blutige Vergangenheit reisen.

Wie viele Soldaten waren hier oben, in dieser tristen, menschenfeindlichen Umgebung stationiert? Mussten sie Hunger und Durst leiden? Waren sie vom Anblick verwunderter oder gar toter Kameraden traumatisiert? Hatten sie Familien, Frau, Kinder? Wie lange mussten sie hier unter widrigen Umständen leben und wie viele von ihnen haben überlebt? Fragen über Fragen, die wohl unbeantwortet bleiben.

Kurz vor dem Gipfel versuche ich mich von diesen deprimierenden Gedanken zu lösen und in das friedliche Hier und Jetzt zurück zu kommen. Oben angekommen verschlägt es mir augenblicklich die Sprache! So ein gewaltiges Panorama habe ich selten gesehen. Zu beiden Seiten türmen sich zahllose Bergkämme, Grate, Wände, Spitzen und Gletscher auf. Im Süden ist das wild vergletscherte Écrins-/Pelvoux–Massiv mit seinen 4102 Metern zum Greifen nah.

Daneben erhebt sich einer der schwierigsten Hochgipfel der Alpen: „La Meije“ ist ein 3983 Meter hoher Berg im Pelvoux in den Dauphiné–Alpen, die zu den französischen Westalpen zählen. Im Norden und Osten von großen Gletschern umlagert, zeigt der Berg vom Süden mit seiner sich 800 m über den Etançon-Gletscher erhebenden Granitwand eine eindrucksvolle, felsige Gestalt.

Obwohl die „Meije“ die 4000-Meter-Marke knapp verfehlt und von der benachbarten „Barre des Écrins“ deutlich überragt wird, dürfte sie nach dem Mont Blanc der bekannteste Berg Frankreichs sein. Staunend betrachte ich diese fantastische Bergwelt aus Fels und Eis, in der ich mich so wohl fühle. Meine große Leidenschaft verdanke ich meinen Eltern, die mich als Apinisten schon von klein auf mit dieser besonderen Materie vertraut gemacht haben.

Heute vermisse ich ein Gipfelkreuz. Anstatt dessen steht hier oben eine runde Steinruine, bestückt mit vier Schießscharten. Von dieser Höhe hat man strategisch gesehen einen perfekten Rundumblick. Absurd und gleichzeitig unvorstellbar, dass diese menschenfeindliche Umgebung damals als Kampfplatz gedient hat.

Mir wird dadurch wieder bewusst, wie fragil auch unser Frieden sein kann und wie schnell es zu so einer Katastrophe kommen kann, mit all seiner Zerstörung. Da schätzte ich sofort wieder mein Privileg der Freiheit, hier einfach nur zum Bergsteigen da sein zu dürfen …

Nach einer ausgiebigen Gipfelrast suchen wir den schlecht markierten Weg hinunter zur „Porte de Cristol“. Dieser verläuft Richtung Südwesten, entlang der Mauer. Nach einem kleinen Gegenanstieg erreichen wir das aussichtsreiche Tor.

Von dort folgen wir dem Weg GR–5C über eine Schuttfläche mit fotogenen Steinmännern. Mich erinnert dieses karstige Hochgebirge zum Teil an eine Mondlandschaft. Wechseln sich im unteren Teil Wald, Gras und Alpenrosen ab, gibt es hier oben ausschließlich Fels und Gestein.  Nach dieser grauen Zone ist der Anblick eines lieblichen Bergees umso schöner. Zuerst kommen wir an einem kleinen See vorbei, dem „Lac Rond“.

Doch der vierte See wartet noch auf uns. Wir lassen die Mondlandschaft hinter uns und steigen ohne Umwege über grasige Flächen weiter ab. Ich genieße es, beim Gehen den Blick schweifen zu lassen. Kaum ein Stolperstein liegt auf dem Weg, der die Konzentration zu sehr fordert. Unglaublich, dass in dieser atemberaubend schönen Gebirgslandschaft keiner außer uns unterwegs ist!

Nach ein paar Kehren erreichen wir auf 2245 Metern den „Lac de Cristol“. Der perfekte Fotospot! Eine Abkühlung wäre jetzt recht, doch das Eiskalte, dunkle Wasser hat es in sich … Kurz wird das Gesicht abgewaschen und die Arme gekühlt, doch ein Bad ist nicht drin. Ein paar Schönwetterwolken schieben sich gerade vor die Sonne, was die Luft schlagartig abkühlen lässt. Wir bleiben kurz sitzen und genießen die Ruhe. Ein erstklassiger Ort zum Meditieren!

Wir folgen dem Cristol–Bach in den lichten Wald hinein und über eine Brücke. Die Gegend hier ist so einsam, dass wir uns wie die letzen Menschen auf Erden vorkommen. Auf dieser großen Runde sind wir insgesamt nur vier Menschen begegnet. Ich liebe diese Einsamkeit und Abgeschiedenheit in den französischen Alpen, welche mir in unseren heimischen Bergen oft fehlt.

Nach einer Weile quert der Weg hinüber zu einer Kreuzung mit einigen Wanderschildern. Diese kommt mir vom Aufstieg sehr bekannt vor. Und tatsächlich, dort schließt sich der Kreis. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es nicht mehr weit ins Tal sein kann.

Die letzten Höhenmeter bringen wir aufgrund der Steilheit des Weges schnell hinter uns und stehen nach einer zusätzlichen Stunde an unserem Parkplatz Fortiville. Eine lange, aber wunderschöne Tour. Das Resümee des heutigen Tages lautet: Die französischen Alpen sind in der Tat etwas ganz besonderes – hoch, gegensätzlich, wasserreich, schroff und vor allem einsam!

GUT ZU WISSEN

Ausrichtung // Nord/Süd Bergtour  6,5 Stunden    1250 hm, 16 km

Art // Bergtour.
Schwierigkeit // Mittel
Orientierung // Vom Parkplatz gleich über die Brücke und über eine Forststraße in den Wald hinein. Dem Weg GR–57 folgen wir, bis die grasige Hochfläche und der „Lac de l’Óule“ erreicht wird. Weiter bergan zum „Col de l’Óule“ und von dort links an der Steinmauer entlang steil hinauf zum Gipfel. Für den Abstieg folgen wir einem unmarkierten, unscheinbaren Pfad hinunter zur „Porte de Cristol“. Danach über Wiesen zum „Lac de Cristol“. Dem Cristol-Bach folgend hinein in den Wald und querend zur Weggabelung, an der unser Aufstiegsweg gekreuzt wird. Runter wie hoch und zurück zum Ausgangspunkt.

Beste Jahreszeit // Mai bis November
Einkehrmöglichkeit // Keine

Anreise // Mit dem Auto:
Von Briançon in 30 Minuten auf der Grande Rue. Links weiter auf der Porte de Pignerol. Hinauf ins Vallée de Clarée zum Ausgangspunkt Le Cros bei Névache.

Parkplatz // Parkplatz Névache/Fortville im Ort Le Cros.
Kosten //

Ausrüstung // Bergtourenausrüstung

TIPP // Ausreichend Verpflegung mitnehmen, da es unterwegs keine Einkehrmöglichkeiten gibt. Wer über Filtersysteme verfügt, kann an den zahlreichen Seen seinen Durst löschen und muss nicht so viel Gewicht tragen.