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Davoser Schlitten – Auf zu neuen Kufen

Davoser Schlitten – Auf zu neuen Kufen. Der Mann, der den Davoser Schlitten wieder nach Davos geholt hat: Paul Ardüser in der Werkstatt seiner Schreinerei

Der Mann, der den Davoser Schlitten wieder nach Davos geholt hat: Paul Ardüser in der Werkstatt seiner Schreinerei © Foto: Tanja Demarmels

Davoser Schlitten – Auf zu neuen Kufen. Die Holzteile werden verzapft, nicht verleimt

[1] Die Holzteile werden verzapft, nicht verleimt

Davoser Schlitten – Auf zu neuen Kufen. Mithilfe einer Schablone wird Maß genommen

[2] Mithilfe einer Schablone wird Maß genommen

Davoser Schlitten – Auf zu neuen Kufen. Wenn alles passt, halten Holzdübel die Konstruktion zusammen

[3] Wenn alles passt, halten Holzdübel die Konstruktion zusammen. © Fotos: Tanja Demarmels

Der Klassiker unter den Rodeln, der Davoser Schlitten, feiert sein Comeback. Schreiner Paul Ardüser produziert wieder nach traditioneller Bauart. Ein Werkstatt-Besuch (ALPS Magazine #28 4/2015/2016 Review)

Der Bügel bockt, will nicht, weigert sich, doch Paul Ardüser, 52, Schreiner in dritter Generation, schlägt weiter, Hand auf Holz, schlägt zum siebten Mal, zum achten Mal. Vergebens. Passt nicht. Passiert. Handarbeit eben. Ardüser lässt die Arme sinken, schaut auf und schüttelt verständnislos den Kopf: „Da muss die Holz-Verzapfung ausgebessert werden.“

Ein Nachmittag Ende Oktober. Span-Geruch hängt in der Luft, eine Kreissäge schreit, durch die Tür gleißt warm die Herbstsonne. Ardüser steht in seiner kleinen Werkstatt, Herzstück der nicht ganz so kleinen Schreinerei Paul Ardüser, gelegen im Alpenpanorama von Davos, und versucht, einen Holzbügel mit einer Kufe zu verzapfen. Denn Ardüser baut, was hier schon lange nicht mehr gebaut wurde: Schlitten. „Davoser Schlitten!“, präzisiert Ardüser.

Wichtig. Denn er, der Davoser Schlitten, ist der Urtyp des Rodels. Der, den jeder kennt. Zwei Holzbügel, darauf aufgesetzt die Sitzbretter. Zwei Kufen, mit Stahl verstellt, und mit einem Zugeisen verbunden. Das Besondere am Schlitten von Paul Ardüser: Sie werden nicht verleimt wie die industriell hergestellten Rodel. Ardüsers Schlitten werden verzapft. Der Schreiner verbindet die einzelnen Holzteile also nicht mit Leim, sondern steckt sie auf natürliche Weise ineinander und befestigt sie mit einem Dübel. Deshalb die Probleme mit der Einpassung. Aber was muss, dass muss. „So wurde er nämlich früher gebaut, und so wollen wir ihn bauen. Wir machen die Schlitten genauso wie damals“, sagt Paul Ardüser mit entschlossenem Gesicht. Denn Paul Ardüser hat einen Plan: Er will den Davoser Schlitten wieder in Davos herstellen, und zwar auf traditionelle Weise. Ohne Schnickschnack. Pure Handwerkskunst.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Davoser in Davos erfunden. Dort ist er auch erstmals 1883 öffentlich aufgetreten, beim ersten offiziellen „Schlittelrennen“ der Welt. Danach schlitterte er zum Verkaufsschlager, zur Kellerdekoration, zur Kindheitserinnerung der winterlichen Welt. Aber damals hatte niemand in dem idyllischen Schweizer Kurort daran gedacht, den Namen, geschweige denn die Baupläne patentieren zu lassen. Die Produktion verlagerte sich also in den 1950er-Jahren ins Ausland. Überall fertigten sie fortan den Holzschlitten. Nur nicht in Davos. Und nicht auf traditionelle Weise. Bis Paul Ardüser im vergangenen Jahr eine Idee kam.

Ardüser bedeutet einem seiner Mitarbeiter, die Kreissäge auszuschalten. Er will erzählen; erzählen von diesem überdimensionalen Auftrag, aus dem sich diese überdimensionale Erfolgsgeschichte entwickelt hat. Und dafür muss die Schreinerei einen Moment innehalten. „Das hiesige Tourismusbüro bat mich letzten Sommer, zwei Davoser Schlitten zu bauen, Maßstab eins zu sechs, riesig also, 1,30 Meter hoch, 1,80 breit, fünf Meter lang. Wir sprachen über die Schlitten, und während wir so zusammensaßen, haben wir uns gefragt, warum eigentlich nicht das Original wieder herstellen, hier in Davos, und ganz traditionell? Da hat‘s mich gepackt. Ich war begeistert.“ Ardüser liebt die Tradition.

Gut zu Wissen
 
ARDÜSER SCHREINEREI
Grischunaweg 2
7270 Davos
T. +41/(0)81/410 01 01
 
Mehr Informationen unter www.ardueserschreinerei.ch
 
Davoser Schlitten – Auf zu neuen Kufen.
Davoser Schlitten – Auf zu neuen Kufen. Handwerkskunst: Jeder Schlitten wird in Handarbeit gefertigt. Bis zu sieben Stunden dauert der Prozess

Handwerkskunst: Jeder Schlitten wird in Handarbeit gefertigt. Bis zu sieben Stunden dauert der Prozess. © Fotos: Tanja Demarmels

 

Der Haken an der Geschichte indes war, wie so oft, das leidige Thema Geld. „Deshalb kamen wir bei der Frage nach der Finanzierung auf die Idee mit dem Crowdfunding.“ Sie wollten das benötigte Kapital im Internet einsammeln. Jeder, der das Projekt mit einem bestimmten Betrag unterstützt, sollte dafür einen Schlitten erhalten. Und der müsse, so rechnete Ardüser, nicht nur Traditionalist, Geschäftsmann auch, 650 Franken kosten, damit sich das Vorhaben lohne. 20 Schlitten wollte er bauen. Das Ziel demnach: 13 000 Franken, knapp 12 000 Euro. Auf der Internetplattform 100-days.net begannen sie, das Projekt zu bewerben. Nach 100 Tagen sollte, woran kaum jemand glaubte, das Geld beisammen sein. Er ging zurück in seine Schreinerei, der Alltagsarbeit nach. Sieben Tage später erhielt er die Nachricht, das Geld sei da.

Ardüser bessert die Einlassung in der Kufe aus, damit der Bügel exakt hineinpasst. Und schlägt noch einmal mit dem Handballen drauf: Jetzt sitzt’s. Dann fährt er mit der Handwerkerhand, hart und zart zugleich, übers Holz, Weißesche aus der Ostschweiz: „Die Schönste, die zu bekommen ist.“ Überhaupt Holz – für Ardüser ist das Material pure Leidenschaft: „Holz ist Leben, ist Kunst. Es ist das natürlichste Produkt der Erde, fast alles kann man damit herstellen. Faszinierend.“

Eine Familienfaszination. Der Großvater hat hier, an Ort und Stelle, Grischunaweg 2, umgeben von Bergen und Bruchsteinmauerwerk, im Jahr 1928 die Schreinerei Ardüser offiziell eröffnet. Ein Einmannbetrieb: Schon damals im Angebot: der Davoser Schlitten. 1960 übernahm Ardüsers Vater, vergrößerte den Betrieb ein wenig. Sechs Mitarbeiter kamen hinzu, ebenso ein Holzlager. Mit 14 fragt der Vater Paul Ardüser: „Sohn, was willst du machen?“ Paul, hin- und hergerissen zwischen Handwerk und Landwirtschaft, entscheidet sich für die Familientradition. Und das, obwohl der Vater gezeichnet ist vom Beruf. Er hatte sich, ebenfalls 14-jährig, gleich im ersten Lehrjahr bis auf den Daumen alle Finger der linken Hand an der Hobelmaschine abgesägt. Im Prättigau macht Paul Ardüser seine Ausbildung, um fünf Uhr in der Früh geht’s raus, um acht Uhr abends ist er wieder zu Hause. Harte Zeiten, die noch härter werden. „Ich war 24, als mein Vater schwer erkrankte. Damals arbeitete ich in einer Schreinerei in Bischofszell, hatte eine junge Familie, zwei kleine Kinder.“ Die Krankheit des Vaters stellt Ardüser vor die Wahl, den Betrieb zu übernehmen oder alles zu verkaufen. Er überlegt nicht lange, übernimmt Betrieb und Verantwortung – und trägt, wenige Monate später, den Vater zu Grabe.

„Es war nicht leicht, als junger Kerl das alles unter einen Hut zu bekommen“, sagt er. Die ersten fünf Jahre bedeutete jeden Tag malochen, keine Ferien, kaum Familie. „Vor allem für meine Frau und die Kinder war das schwierig.“ In den folgenden Jahren vergrößert er die Schreinerei, baut an, stellt ein, 20 Mitarbeiter, 14 Firmenwagen, 40 Kubikmeter Holzbedarf pro Jahr.

„FÜR MICH IST HOLZ LEBEN, KUNST. EINFACH FASZINIEREND“

Ardüser schaut sich seinen halbfertigen Schlitten an und weist noch einmal auf die Verzapfung hin. Die ist ihm ein Anliegen. Nicht nur, weil es alte Handwerkskunst ist. „Wenn man eine Verleimung macht, ist das eine starre Konstruktion. Da hat der Schlitten keinen Spielraum. Werden die Holzteile aber verzapft, hat er die Möglichkeit, sich dem Gelände anzupassen, ist flexibler. Außerdem gibt das dem Schlitten zusätzliche Stabilität.“ Ardüsers Davoser sollen bekannt werden für ihre Stabilität. Sollen Erbstück werden, Tradition. Darum das Prozedere mit den Verzapfungen. Darum der spezielle Stahl, der gebogen und auf die Kufe gelegt wird, 350er-Stahl, kaltgezogen, fünf Millimeter dick, importiert aus Italien. Darum auch die lebenslange Garantie.

Wenn die Bügel in den beiden Kufen stecken, montiert Ardüser die Sitzbretter, verbindet die Kufen mit dem Zugeisen, an das das Nylonseil geknotet wird, mit dem später der Vater Schlitten und Kind den Berg hinaufziehen darf. Schließlich pinselt Ardüser das Werk mit Naturöl ein, nicht mit Lack: „Wir wollen, soweit es geht, auf natürliche Mittel zurückgreifen.“ Schließlich holt er den Prototyp seines Davoser Schlittens hervor. Es ist der erste, den er fertiggestellt hat. 80 Bestellungen hat er bereits entgegengenommen. Ardüser betrachtet ihn, und dann kommt die Erinnerung: Wie es für ihn, als Kind, damals das Größte war, wenn er aufwachte, aus dem Fenster blickte und sah, dass über Nacht der erste Schnee gefallen war. Wie er dann hinunterrannte in den Keller, suchte, kramte, und ihn hinauf ans Tageslicht trug: seinen Davoser Schlitten. „Dieses Gefühl“, sagt Paul Ardüser, „dieses Gefühl sollen auch die Kinder hier in Davos haben, wenn sie bald meine Schlitten aus dem Keller holen.“

Davoser Schlitten – Auf zu neuen Kufen. Um die Kufen stabiler zu machen, nutzt Ardüser einen speziellen Stahl aus Italien

[4] Um die Kufen stabiler zu machen, nutzt Ardüser einen speziellen Stahl aus Italien

Davoser Schlitten – Auf zu neuen Kufen. Am Ende wird jeder Schlitten noch mal genaustens überprüft...

[5] Am Ende wird jeder Schlitten noch mal genaustens überprüft…

Davoser Schlitten – Auf zu neuen Kufen. ...denn: Jeder Schlitten ist ein Unikat

[6] …denn: Jeder Schlitten ist ein Unikat. © Fotos: Tanja Demarmels