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Bergsteigerdörfer – wo die Alpen noch ursprünglich sind

Bergsteigerdörfer – wo die Alpen noch ursprünglich sind. St. Jodok, Schmirn- und Valsertal

St. Jodok, Schmirn- und Valsertal Am Jochgrubenkopf genießt man eine feine Panoramaschau © Foto: Mark Zahel

Raue Felsen und weite Flure statt Gletscherbahnen und Freizeitspektakel – Berg­steigerdörfer sind der Gegenentwurf zum alpinen Massentourismus. Bereits 23-mal hat der Österreichische Alpenverein das Prädikat Bergsteigerdorf an Ort­schaften verliehen, die sich einem sanften Tourismus verschrieben haben. In dem großzügig illustrierten Bildband „Bergsteigerdörfer“ von Mark Zahel werden diese mit ihren schönsten Tourenmöglichkeiten für Wanderer und Bergsteiger erstmals ausführlich vorgestellt. ALPS präsentiert eine kleine Auswahl

Die Wiesen sind noch mit Tau überzogen, die Sonne kämpft mit den letzten Nebelfeldern und die Kühe schauen ein bisschen verschlafen drein, als sich am frühen Morgen eine 30-köpfige Wandergruppe den Geigelstein im Chiemgau hinaufschlängelt. Ihr Ziel ist die gut 2 Stunden entfernte Priener Hütte. Dort warten schon Alphornbläser und eifrige Wirtsleute neben festlich eingedeckten Tischen – denn es gibt etwas zu feiern: Die umliegenden Gemeinden Sachrang und Schleching werden feierlich in den Kreis der Bergsteigerdörfer aufgenommen. Die Initiative hat der Österreichische Alpenverein 2008 ins Leben gerufen, die Idee dahinter: In den kleinen Alpendörfern sollen natur- und umweltbewusste Touristen genau das finden, was es in den großen nicht mehr gibt, eine authentische Bergbauernwelt. Neben Schleching und Sachrang tragen weitere 21 Dörfer den begehrten Titel, und 2018 sollen zwei neue dazu kommen: Kreuth in Deutschland und Jezersko in Slowenien.

Vent im Ötztal – Pionier und Klassiker

Im Herzen der Ötztaler Alpen, umgeben von Gletschern und Dreitausendern, liegt das 200 Seelendorf Vent, der Inbegriff eines Bergsteigerdorfs. Franz Senn, Mitbegründer des Alpenvereins, wirkte hier ab 1860 als „Gletscherpfarrer“. Seine Mission: Die Lebensumstände der Bergbauern zu verbessern. Um die Region auch für Touristen zugänglich zu machen, legte er Steige und Wanderwege an, und errichtete 1882 die Breslauer Hütte. Noch heute gilt er deshalb als „Vater des Alpintourismus“ und seine Sicht auf Fremdenverkehr als Erfolgsrezept – wenn man die natürliche Alpenlandschaft bewahren will. Vent jedenfalls profitiert immer noch von der früh angelegten Infrastruktur und den erstklassigen Touren. Bis auf das Hochjoch-Hospiz liegen alle acht Schutzhütten über 2500 m Höhe und bieten die perfekte Ausgangslage, um die imposanten Gipfel der Ötztaler Alpen zu besteigen. Wer sich an seinen ersten Dreitausender heranwagen will, ist in Vent genau richtig. Denn die 3455 Meter hohe Kreuzspitze ist einer der wenigen Gipfel, den man sich ohne Gletscherbegehung erwandern kann. Höher kommt man so leicht und schön selten hinaus.

Bergsteigerdörfer – wo die Alpen noch ursprünglich sind. Vent im Ötztal

Vent im Ötztal über den Saykogel führt die Königsetappe der Venter Hüttenrunde. Man befindet sich auf Augenhöhe mit vielen stolzen Dreitausendern ringsum! © Foto: Mark Zahel

St. Jodok, Schmirn- und Valsertal – Kulturlandschaft zum Anfassen

Während sich die Blechlawine zäh über den Brenner Richtung Italien schiebt, liegt nur wenige Kilometer entfernt St. Jodok, Ausgangspunkt um in Schmirn- und Valsertal zu gelangen. Neben spektakulären Touren auf der wilden Seite des Tuxer Hauptkammes gibt es hier eine beeindruckende Kulturlandschaft zu entdecken. Seit 1942 steht das Valsertal schon unter Naturschutz und manchmal erscheint es wirklich so, als hätte sich seitdem nichts verändert. Noch immer wird das Heu auf den waldfreien Südhängen per Hand gemäht – echte Bergbauernarbeit auf 1800 m Höhe. Freiwillige bewahren so die Hänge vor der Verwilderung und halten gleichzeitig das alte Handwerk lebendig. Wer sich von den Strapazen selbst ein Bild machen und darüber hinaus noch mehr vom ursprünglichen Almleben kennenlernen will, der kann das in der „Schule der Alm“ tun. Auf „Helga’s Alm“ werden seit gute einem Jahr Kurse im Sensenmähen, Heuen, Zäune bauen sowie Kräuter sammeln und Ziegenkunde angeboten – todmüde ins Bett fallen inklusive.

Bergsteigerdörfer – wo die Alpen noch ursprünglich sind. St. Jodok, Schmirn- und Valsertal

St. Jodok, Schmirn- und Valsertal Am Jochgrubenkopf genießt man eine feine Panoramaschau © Foto: Mark Zahel

Mauthen im Gailtal – An der Grenze zu Afrika

500 Millionen Jahre Erdgeschichte werden hier greifbar. Am Hauptkamm der Karnischen Alpen gelegen, verläuft neben dem Bergsteigerdorf Mauthen nicht nur die Grenze von Österreich zu Italien, sondern mit der Periadriatischen Naht auch die Grenze von Europa zu Afrika – zumindest geologisch betrachtet. Diese tektonische Störungslinie ist die wichtigste im Alpenraum und macht das Gailtal zu einem Mekka für Geologen. Aber auch für Laien sind die Ergebnisse in mehreren Geo-Trails spannend aufbereitet. Zum Beispiel am Zollnersee, der malerisch eingebettet in einer Wiesenwanne liegt. Von Mauthen aus gibt es eine schöne Tour zur Zollnerseehütte, bei der man auch am Geo-Trail vorbeikommt. Die Hütte ist außerdem ein Etappenziel auf dem Karnischen Höhenweg, für viele Bergfreunde einer der schönsten in den ganzen Alpen.

Bergsteigerdörfer – wo die Alpen noch ursprünglich sind. Mauthen im Gailtal

Mauthen im Gailtal Der Reiz dieses Hochtals begeistert jedes Mal aufs Neue. Nach drei Stunden erreicht man das großartige Valentintörl unterhalb der Hohen Warte © Foto: Mark Zahel

Zell (Sele) – Geheimnisvoll und wild

Das südlichste Bergsteigerdorf Österreichs wird von seinen Bewohnern auch liebevoll „Herz der Karawanken“ genannt. Eingebettet zwischen der Haupt- und Nordkette des Gebirgszuges umgibt das Hochtal Zell, slowenisch Sele, eine geheimnisvolle und ursprüngliche Atmosphäre. Zweisprachige Hinweisschilder, malerische Gehöfte mit tiefgezogenen Dächern und eine slowenisch geprägte Alpenküche machen die Landesgrenze allgegenwertig. Anstelle eines eisernen Vorhangs gab es hier zwischen Ost und West die natürliche Felsengrenze. Heute dienen die Karawanken längst nicht mehr zur Abschottung, sondern sind zu einem Verbindungsglied zwischen den Völkern geworden. Bei einer sehr schönen zweitägigen Tour rund um den Koschuta lernt man nicht nur das Massiv kennen, sondern auch kulturelle Facetten. Eingekehrt wird im Koschutahaus auf der österreichischen Seite und in der slowenischen Kofce-Alm.

Bergsteigerdörfer – wo die Alpen noch ursprünglich sind. Zell (Sele)

Zell (Sele) Am Kärntner Grenzweg: die Felsabbrüche der Dicken Koschuta, umringt von goldgelben Lärchen. Wer den vorderhand schroffen Gipfel auf der Normalroute besteigen möchte, muss über die Mela ein Stück auf slowenisches Gebiet ausholen © Foto: Mark Zahel

Ramsau bei Berchtesgaden – Yellowstone der Alpen

Schon frühe Reisende waren von der einzigartigen Landschaft im Berchtesgadener Land begeistert: Alexander von Humboldt beschrieb sie als „göttlich“, und der bayerische Schriftsteller Heinrich Noe gar als „den Yellowstone Park der Alpen“ – er hat wohl vor über 150 Jahren schon geahnt, dass dieses Fleckchen Erde später der einzige Nationalpark in den deutschen Alpen werden würde. Und auch das Bild der Ramsauer Pfarrkirche mit der Bachbrücke im Vorder- und dem »Gugelhupf« des Wagendrischlhorns im Hintergrund ist für viele der Inbegriff alpiner Romantik. Wer es ein wenig rauer mag, der hat im Bergsteigerdorf Ramsau eine große Auswahl erstklassiger Touren: Hocheisspitze, Hochkalter, Schärtenspitze und natürlich der Watzmann. Ein besonderes Erlebnis ist die Wibachklamm. Zwar bewegt man sich auf sicher befestigten Stegen, aber der tosend herabstürzende Bach und der alles einhüllende Sprühnebel machen die Klamm zu einem aufregenden Erlebnis.

Bergsteigerdörfer – wo die Alpen noch ursprünglich sind. Ramsau bei Berchtesgaden

Ramsau bei Berchtesgaden Im Wimbachgries ist man von einer wahren Urlandschaft umgeben, geprägt durch den zerklüfteten Ramsaudolomit. © Foto: Mark Zahel

Steinbach am Attersee – Faszination Vielfalt

Oben die schroffen Felswände des Höllengebirges, unten der malerische Attersee. Die zwei gegensätzlichen Landschaften verleihen dem Bergsteigerdorf Steinbach einen ganz besonderen Charme. Und wer sich einen ebenso besonderen Blick auf den See gönnen will, der nimmt die zweieinhalbtägige Überschreitung des Höllengebirges in Angriff und übernachtet in der Riederhütte und dem Hochleckenhaus. Auf letzterer gibt es nicht nur einen hervorragenden Kaiserschmarrn, sondern auch die Chance auf einen leuchtend roten Sonnenuntergang. Für solch ein Naturschauspiel ist das Haus mit seiner Lage auf dem freien Plateau und einer ungehinderten Fernsicht nach Westen und Norden geradezu prädestiniert. Berühmte Künstler ließen sich in der Vergangenheit gern vom See inspirieren: Im Garten des Gasthaus „Fröttinger“ steht noch heute das Komponierhäuschen von Gustav Mahler. Ganze vier Sommer verbrachte er am See und verwandelte seine Eindrücke in Musik.

Bergsteigerdörfer – wo die Alpen noch ursprünglich sind. Steinbach am Attersee

Steinbach am Attersee Der idyllische Vordere Langbathsee ist Ausgangspunkt für eine Besteigung des Brunnkogels © Foto: Mark Zahel

Schleching und Sachrang im Chiemgau – Ein Berg, ein Dorf

Eigentlich sind Schleching und Sachrang zwei eigenständige Dörfer, seit jeher getrennt durch einen Berg, den Geigelstein. Mit seinen 1808 Meter Höhe und der einzigartigen Vegetation ist der Chiemgauer Blumenberg einer der bekanntesten in der Region. Seltene Orchideen, Kohlröschen oder Tüpfel-Enzian findet man am Wegesrand, und auch bedrohte Tierarten, wie der Steinadler, brüten hier in den schroffen Felsen. Für die intakte Alpenlandschaft haben die Bewohner lange gekämpft. Schon Mitte der 1970er-Jahre sollte eine Skischaukel auf dem Geigelstein errichtet werden und die zwei Orte miteinander verbinden. Doch es regte sich Widerstand in der Bevölkerung und lange Zeit waren die Bewohner in zwei Lager gespalten. Bis der Geigelstein 1991 zum Naturschutzgebiet erklärt wurde. Und jetzt, fast 40 Jahre nach den ersten Skischaukel-Plänen, ist die Vereinigung der zwei Gemeinden geglückt – durch die Bergsteigerdörfer. Ein echtes Muss am Geigelstein ist die Priener Hütte des DAV. Sie liegt auf 1405 Meter Höhe und ist fast ganzjährig geöffnet, lediglich vom 1. Advent bis zum zweiten Weihnachtsfeiertag gönnen sich die Wirtsleute eine Pause. Im Sommer rauf auf den Gipfel, im Winter runter ins Tal rodeln: egal zu welcher Jahreszeit – der Blick auf den Wilden und Zahmen Kaiser bleibt immer wunderschön.

Bergsteigerdörfer – wo die Alpen noch ursprünglich sind. Schleching im Chiemgau

Schleching im Chiemgau Zwischen Schleching und Sachrang liegt der Geigelstein © Foto: Touristik Information Schleching

Bergsteigerdörfer – wo die Alpen noch ursprünglich sind. Sachrang im Chiemgau

Sachrang im Chiemgau Unter dem Dach der Bergsteigerdörfer bringt der Geigelstein zwei unterschiedliche Täler zusammen © Foto: Herbert Reiter


 
Gut zu Wissen
Bergsteigerdörfer – wo die Alpen noch ursprünglich sind.
Mark Zahel, Bergsteigerdörfer, Berge erleben, wo die Alpen noch ursprünglich sind, 2017 Tyrolia, 240 Seiten, 266 farb. Abb., 23 sw Zeichnungen und 21 Übersichtskarten, 27 cm x 21 cm, 34.95 Euro
Informationen: www.tyrolia.at
 
Wo die schönsten Bergerlebnisse beginnen
 
In diesem großzügig illustrierten Bildband werden alle diese Bergsteigerdörfer mit ihren schönsten Tourenmöglichkeiten für Wanderer und Bergsteiger erstmals ausführlich vorgestellt. Aus authentischem Erleben versteht es der Autor, diese „Orte guten Bergsteigens“ in all ihrer Unterschiedlichkeit zu charakterisieren und erlebbar zu machen. Ein Bildband zum Träumen und Planen für Wanderer und Bergsteiger, die das Ursprüngliche lieben.
 
Mark Zahel, Jahrgang 1972, bereist seit fast 25 Jahren als Wanderer und Bergsteiger die Alpen. Der Profi-Bergbuchautor veröffentlichte bislang rund 50 Bildbände und Tourenführer. Im Sinne einer gesunden Koexistenz von Tourismus und Naturschutz liegt ihm das Projekt „Bergsteigerdörfer“ besonders am Herzen.
 
Bergsteigerdörfer – wo die Alpen noch ursprünglich sind. Karte