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Bergsommer in Tirol – Vom idyllischen Puittal im Wettersteingebirge auf die Gehrenspitze

Bergsommer in Tirol – Vom idyllischen Puittal im Wettersteingebirge auf die Gehrenspitze

© Fotos: Katrin Böckelen

Für eine etwas längere und landschaftlich reizvolle Bergtour müssen wir heute auf keinen 3.000er. Die Gehrenspitze ist mit 2.367 Metern kein Zwerg! Die einsame Tour besticht durch ein liebliches wie wildes Hochtal, einen aussichtsreichen Grat, sowie einem felsigen Finale! Sportler, die eine ursprüngliche Bergwelt suchen, sind hier im Wettersteingebirge in Tirol genau richtig!

In Leutasch im Ortsteil Puitbach befindet sich ein großer Parkplatz für Bergsteiger und Kletterer. Die „Chinesische Mauer“ ist eines der bekanntesten, sowie größten Klettergebiete Österreichs. Meist sind die Wände aus kompakten Kalkgestein und leicht überhängend. Versierte Kletterer finden hier ein Eldorado im achten bis zehnten Schwierigkeitsgrad vor. Wer leichtere Routen sucht, wird gegenüber des Parkplatzes direkt an der Leutasch fündig: Das „Flämenwandl“ ist mit seiner zugänglichen Lage am Fluss das perfekte Klettergebiet für Familien.

Nicht weniger bekannt ist unser heutige Gipfel, die Gehrenspitze (2.358 m). Auf ihr Haupt führen zwei sehr unterschiedliche Anstiege. Der bekanntere von beiden ist der Weg aus dem Gaistal. Er ist zwar wesentlich kürzer, dafür um einiges frequentierter, da sich im Aufstieg die bewirtschaftete Wettersteinütte und die Wangalm befindet. Beide Destinationen sind, bedingt durch den kurzweiligen und leichten Zustieg auf dem Forstweg, beliebte Ziele von vielen Familien, Wanderern und Kletterern.

Der zweite, weitaus längere Anstieg erfolgt über das unbekannte Puittal. Wer sich diese Route vornimmt, sollte aufgrund der Länge (20 Kilometer) über ausreichend Ausdauer verfügen; zudem Trittsicherheit, sowie Schwindelfreiheit für den oberen Abschnitt am Grat mitbringen. Wer beide Kriterien erfüllt, wird eine ursprüngliche, einsame Berglandschaft vorfinden, die achtsam und bewusst erkundet werden sollte. Obwohl ich für die Arbeit und Privat sehr viel in den Bergen unterwegs bin, ist es für mich immer wieder überraschend, welch schöne, wenig bekannte Hochtäler es bei uns in den oft überlaufenen Alpen gibt.

Wir parken am besagten Parkplatz in Puitbach und laufen rechts ein Stück an der Straße entlang. Wir folgen dabei immer dem orangenen Kletterer, welcher den Weg zur Chinesischen Mauer weist. Nach der Brücke biegen wir links in einen Feldweg ein. Wir folgen ihm über eine wunderschöne, blühende Wiese, bevor es nach einem Weidegatter in den Wald hinein geht. Nun zweigen wir links ab.

Leicht verwirrend: Auf den Wegweisern an der Gabelung nach dem Gatter ist das Puittal leider nicht angeschrieben, davon darf man sich nicht irritieren lassen! Wir folgen also linker Hand dem unmarkierten, breiten Weg. Nachdem wir ein gutes Stück mit nur leichter Steigung zurückgelegt haben, müssen wir am gelben Wegweiser rechts abbiegen.

Wir folgen dem Schild Richtung „Puittal – Scharnitzjoch“. Der breite Forstweg geht nun in einen schmalen Pfad über. Dieser schlängelt sich nun relativ steil ca. 400 Höhenmeter durch den Wald hinauf. Zahlreiche Bankerl laden zu kurzen Verschnaufpausen ein.

Nach einer guten Stunde erreichen wir das Gatter und die saftigen Almwiesen. Hier lässt man den Wald hinter sich und taucht in eine andere Welt ein. Garantiert wird man in Anbetracht der großartigen Landschaft kurz innehalten, oder eine kleine Rast einlegen, bevor es weiter geht.

Als ich vor meinem Papa durch das Tor am Weidezaun trete, eröffnet sich mir eine atemberaubende Szenerie. Vor mir stehen Felsbollwerke wie die Gehrenspitze, Öfelekopf (2.478 m) und die gewaltige Leutascher Dreitorspitze (2.682 m). Am Ende des Tales kann man sogar das Scharnitzjoch (2.048 m) sehen, das auf unserem Weg zur Gehrenspitze bewältigt werden muss.

Die blühenden Almwiesen bilden vor den schroffen Felswänden einen reizvollen Kontrast. Sie gehören der Gemeinde Telfs und den Hirten der Puit-Wangalpe. Immer wieder sehe ich ihre Schafe in den steilen Schrofenhängen, die nach schmackhaften Bergkräutern suchen. Der würzige Käse wird regional in den Dörfern bei Leutasch verkauft.

Nach dem Steilstück durch den Wald beginnt nun der flache aber lange Genussteil dieser Tour. Jeder findet seinen Rhythmus und so laufen wir mit etwas Abstand, leicht ansteigend das weite Hochtal hinauf. Immer wieder bleibe ich stehen, um den Blick schweifen zu lassen, denn die Aussicht ist beeindruckend. Eine markante Spitze sticht besonders hervor. Es ist die Große Arnspitze, deren Gipfel entweder direkt oder im Zuge einer Überschreitung von Mittenwald aus bestiegen wird. Ebenfalls eine landschaftlich reizvolle Bergtour! 

Jetzt lässt sich vor uns die nächste steilere Etappe, das Scharnitzjoch, gut erkennen. Am Gratrücken kann ich einen winzigen Punkt ausmachen: Es ist die kleine, unbewirtschaftete Erinnerungshütte – unser Zwischenstopp für eine kleine Brotzeit. Bis wir dort sind müssen wir allerdings noch etwas Zeit mitbringen. Es sind noch ein paar Kilometer zu laufen. Doch im Angesicht dieser beeindruckenden Bergwelt vergeht sie schneller, als man denkt …

Nach der Überquerung des Flussbetts ist es bald vorbei mit der Gemütlichkeit. Ab hier geht’s die letzten Höhenmeter zur Sache, denn auf zwei steilen Kilometern müssen ca. 550 Hm bewältigt werden. Auf einem von Erdrutschen, sowie von Unwettern beeinträchtigten Pfad steigen wir nach der Latschenzone über freie Wiesen steil bergauf.

Auf dem Scharnitzjoch angelangt, setzen wir uns kurz auf das Aussichtsbankerl. Direkt vor uns befindet sich die Hohe Munde (2.662 m), die direkt über dem Inntal in der Mieminger Kette thront. Auch die imposanten Südwände der Scharnitzspitze und Schüsselkarspitze ragen steil in den Himmel. Sie sind ein steingewordener Klettertraum! Hunderte Routen ziehen wie Adern durch die wilden Felswände. Sie sind mehrere hundert Meter hoch und sehr alpin. Da heißt es oft selbst für die Sicherheit sorgen und mobil absichern. Wer davon keine Ahnung hat, sollte erst mal im sicheren Klettergarten üben!

Vom Joch führen einige Wege in alle Richtungen. Hinab ins Puittal, auf der anderen Seite geht es hinunter zur Wettersteinhütte bzw. ins Gaistal, zur Rotmoosalm und zur Gehrenspitze. Von einem kleinen Pfad auf dem Wiesenrücken gelangen die Kletterer zu den Einstiegen der alpinen Kletterrouten.

Wir haben Hunger und steigen zur Erinnerungshütte, unseren von weitem herbeigesehnten Brotzeitplatz auf. Nach neun Kilometern haben wir uns die Pause verdient! Das urige, kleine Hüttchen gehört dem Akademischen Alpenverein München und wurde vor rund 100 Jahren in Erinnerung an die im ersten Weltkrieg gefallenen Mitglieder des Vereines errichtet. Sie dient als Schlafquartier und Ausgangspunkt für die alpinen Kletterrouten. Bei einem Gewitter möchte ich mich allerdings nicht in dieser exponierten Lage direkt am Grat befinden.

Hinter der Hütte geht es auf einem breiten Grasrücken weiter, bevor wir ins felsige Gelände kommen. 300 Höhenmeter müssen noch bewältigt werden. Das Gipfelkreuz der Gehrenspitze war zwischenzeitlich zu sehen, jedoch befindet sich dieses hinter einem Vorgipfel, weshalb der Eindruck entsteht, gleich oben zu sein. Doch das täuscht. Ein auf dem Vorgipfel platzierter Metallmast sollte einen nicht irritieren, der höchste Punkt ist noch ein Stück dahinter.

Schaut man über die schroff abfallende Nordwand hinauf zur Gehrenspitze, kann man sich kaum vorstellen, wie man auf diesen wilden Gipfel hinaufkommen soll. Doch der Berg hat auch eine etwas zahmere Seite. Der alpine Steig verläuft vom Puittal nicht einsehbar auf der Südseite, unterhalb des Gratrückens. Er quert in einem ausgesetzten, felsigen Auf und Ab entlang der steilen Schuttkare hinüber zum Gipfel. Ein- oder zweimal wird man auch mit den Händen den Fels berühren. Trittsicherheit ist unbedingt erforderlich, da ein Stolperer fatale Folgen hätte!

Als wir endlich oben ankommen, haben wir 11 Kilometer und 1.300 Höhenmeter hinter uns gebracht. Das Panorama ist traumhaft: Ich überblicke die Olympiaregion Seefeld, kann sogar bis ins Inntal schauen. Weiß vergletschert erhebt sich im Hintergrund der Großvenediger (3.657 m), der höchste Berg der Venedigergruppe. Auch das Karwendel besticht durch seine schroffen Felsformationen. Bergspitzen, Grate und Täler so weit das Auge reicht.

Der Gipfel selber ist mit Vorsicht zu genießen. Vom Kreuz sollte man sich lieber nicht zu weit Richtung Abbruchkante bewegen. Von dort bricht die Nordwand des Gehrenspitze senkrecht ab. Ein schauriger Anblick in die Tiefe!

Nach einer ausgiebigen Pause machen wir uns an den Abstieg. Dieser erfolgt auf dem selben Weg. Es kommen noch 10 Kilometer hinzu. Bergsteiger, die genug Zeit mitbringen, könnten auch Richtung Gaistal absteigen. Von der Ortschaft Klamm sind es allerdings sieben Kilometer zurück zum Ausgangspunkt. Wer sich 1,5 Stunden Fußmarsch sparen möchte, kann sich ein Taxi nehmen oder mit dem Bus nach Puitbach fahren.

GUT ZU WISSEN

Ausrichtung // West/Süd/Ost Bergtour 7 Stunden   1.300 Höhenmeter, 21 Kilometer

Art // Bergtour

Schwierigkeit // Mittel. Am Grat keine Ausweich- oder Abstiegsmöglichkeit, deshalb die Tour nur bei stabilem Wetter gehen!

Orientierung // Wir starten am Parkplatz Puitbach, überqueren die Straße, halten uns rechts und biegen nach ca. 200 Meter links in den Fahrweg ein. Diesem folgen wir nun über die Wiesen in den Wald hinein. Hinter dem Weidegatter biegen wir links in den Forstweg ein, an der nächsten Verzweigung rechts und an der darauffolgenden Kreuzung halb rechts am Bach entlang (Richtung Meilerhütte). Der Weg wird nun deutlich steiler und bringt uns relativ schnell durch dichten Wald hinauf zur Alpe. Hier fällt das Gelände wieder zurück und wir haben freie Sicht auf unser Ziel, die umliegenden Gipfel des Wettersteins und unser Zwischenziel das Scharnitzjoch. Am Joch halten wir uns links und steigen hinauf zum Grat und der Erinnerungshütte. Weiter geht es am grasigen Grat entlang, bis wir den massiven Gipfelaufbau von Kirchl und Gehrenspitze vor uns haben. Der Weg wird nun wieder steiler, felsiger und ausgesetzter und zieht rechter Hand unterhalb des Gipfels am Grat entlang. Abstieg wie Aufstieg.

Beste Jahreszeit // Mai bis Oktober.
Einkehrmöglichkeit // Keine.

Anreise // Von München nach Mittenwald und weiter auf der L14 in Richtung Leutasch. Am Ende von Puitbach befindet sich ein großer Parkplatz für Wanderer und Kletterer.
Parkplatz // Puitbach/Ahrn (P13) – Leutasch.
Kosten // 5 Euro
Mit den Öffentlichen: Unter der Woche ist die Haltestelle Leutasch-Puitbach von Mittenwald aus mit dem Bus 4186 im Stundentakt ab 6:45 Uhr zu erreichen.

Ausrüstung // Bergtourenausrüstung, Regenjacke, genug Brotzeit und Wasser, da keine Einkehrmöglichkeit vorhanden ist.

TIPP // Kletterer kommen in Leutasch ebenfalls auf ihre Kosten! Es gibt gleich drei lohnende Klettergebiete für fortgeschrittene Sport-, sowie Mehrseillängenkletterer. Das bekannteste ist auch das schwierigste Gebiet mit ca. 170 Routen: Chinesische Mauer und Hongkong. Dort toben sich vor allem Profis im achten bis zehnten Grad aus. Der idyllisch gelegene Klettergarten Mauerbogen hat Routen im mittleren Schwierigkeitsgrad und direkt am Parkplatz an der Leutasch befindet sich der Klettergarten Flämenwandl mit eher leichteren Touren im sechsten Grad.