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Nomen est omen! Eine November(g)tour auf den Österreichischen Schinder (1.809 m) im Mangfallgebirge.

Der Österreichische Schinder (1.809 m), auch Trausnitzberg genannt, sowie sein Nachbar der Bayerische Schinder (1.798 m), gehören zu den Klassikern in den Münchner Hausbergen im Mangfallgebirge. Das steile Schinderkar eilt dabei seinem Ruf voraus. Ob konditionell im schweißtreibenden Aufstieg oder technisch im gerölligen Abstieg. Eine Herausforderung ist das Kar allemal!

Das Felsenfenster stellt hierbei die Krux dar. Ein gewisses Maß an Trittsicherheit und Schwindelfreiheit ist beim Bewältigen der mit Drahtseil versicherten Steilstufe kurz vor dem Ausstieg vonnöten! Bergsteiger werden das kurze, Klettersteig-ähnliche Stück schnell gemeistert haben. Für unsichere oder weniger abenteuerlustige Wanderer ist das Kar jedoch kein Muss! Der Berg hält eine einfachere sowie sonnenverwöhnte Alternative parat. An diesem November(g)tag ist die Route über die Trausnitz-Alm meine Wahl.

Rund neun Kilometer von der Mautstelle entfernt, befindet sich der Wanderparkplatz gegenüber der Johannisbrücke in der Valepp (900 m). Nach der Brücke folge ich dem Wegweiser Richtung Schinder und Trausnitz-Alm. Der rote Punkt verspricht einen nicht allzu anspruchsvollen Aufstieg. Kurz folge ich der steilen Forststraße, bevor der Pfad in der ersten Kehre am gelben DAV Schild abzweigt.

In einem entspannten Auf und Ab schlängelt sich der schmale Steig mit wenig Höhengewinn entspannt um die Bergflanke herum. Zeit zum Genießen! Die Stimmung könnte an diesem Morgen nicht schöner sein. Immer wieder tauchen Sonnenstrahlen die langen, gelben Grashalme am Wegesrand in weiches Licht. Sie kitzeln mich mit ihren zarten Härchen. Auch die Blattverfärbung zaubert intensive Farbkleckse in die Landschaft.

Nach einer halben Stunde passiere ich eine schattige Schlucht mit vermoosten Bäumen, bevor der Weg wieder auf die warme Südseite wechselt. Am Ende der langen Querung steilt es endlich auf. Irgendwo müssen die 1000 Höhenmeter schließlich herkommen! Die Stöcke werden aus dem Rucksack geholt. Sie sind in Steilstücken mein Trumpf. Mit Armkraft können die Beine, vor allem die Waden, merklich entlastet werden. Durch die eingesetzten Schubkraft ist man zudem schneller. Tipptop.

Nun gehts durch einen lichtdurchströmten Buchenwald stetig hinauf. Unterbrochen wird der Pfad lediglich von zwei Straßenabschnitten. Nach 1,5 Stunden erreiche ich die Almflächen der idyllisch gelegenen Trausnitz-Alm. Es sind sogar zwei urige Holzhütten, die auf einem herrlichen Hochplateau, eingebettet in einer grünen Gebirgslandschaft stehen. An manchen schönen Wochenendtagen ist die Alm sogar bewirtschaftet: Milch, Käse, Brotzeit. Verlassen würde ich mich auf die Öffnungszeiten jedoch nicht. Lieber selbst gut Verpflegen!

Aussicht gibts hier dafür reichlich umsonst. Die baumlose Wiese gibt den Blick frei auf die Berge der Spitzingregion, sowie auf das Hintere Sonnwendjoch (1.986 m), den höchsten Gipfel des Mangfallgebirges. Herrlich! Hier kann man ungestört verweilen, die Ruhe genießen und dabei die Seele baumeln lassen, bevor es weiter hinauf Richtung österreichischen Schinder geht. Der Wegweiser verrät mir: noch ca. eine Stunde Gehzeit bis zum Gipfel.

Ich folge dem Wiesenpfad, der noch ein Stück auf der Almfläche verläuft, bis es wieder steiler und steiniger wird. Desto weiter ich mich hochschraube, desto kleiner werden Hütten. Dafür wachsen die Berge im Hintergrund. Nach einem längeren, schattigen Steilstück stehe ich auf dem mit Latschen bewachsenen Bergrücken. Ich bin überrascht vom schnellen Höhengewinn.

Die Almen erscheinen von hier wie Spielzeug aus der Playmobil-Kiste. Immer wieder faszinierend, wie schnell im Gebirge die Perspektiven wechseln. Der besondere Blickwinkel von einem Berg hat mir schon oft geholfen, z. B. Probleme plötzlich in einem anderen Kontext zu sehen. Wer kennt dieses Gefühl nicht, wenn der Blick ins Tal plötzlich vieles unbedeutend und unwichtig erscheinen lässt?

Nach wenigen Metern auf dem sonnenbeschienenen Rücken staune ich nicht schlecht. Ostseitig breitet sich eine großartige Szenerie vor mir aus. Am Horizont zeigen sich nun stolz die weißen Bergriesen der Hohen Tauern. In ihrem imposanten Gletscherkleid lassen Großvenediger (3.657 m), Großglockner (3.798 m) und Konsorten die vorgelagerten, bewaldeten Gipfel der Mieminger Kette zur Hügellandschaft schrumpfen. Ein spannungsreicher Kontrast, wie ihn nur die Berge erschaffen können.

Obwohl die Sonnenstrahlen jetzt im November immer noch wärmen, bringt mich der kühle Westwind zum Frösteln. Der unmittelbar bevorstehende Winter kündigt sich durch die sinkenden Temperaturen zunehmenden an. Bald muss ich meine kurze Hose gegen die Skitourenausrüstung tauschen. Für mich als leidenschaftliche Wintersportlerin ist dieser Jahreszeitenwechsel jedoch nie besonders schmerzhaft. Im Gegenteil! So schätzt man jedes Naturelement noch mehr und es wird nie langweilig. Doch bis es so weit ist, genieße ich den Spätherbst in vollen Zügen.

Jetzt auf dem letzten Stück im dichten, steilen Latschengürtel, freue ich über die kühle Brise. War der Weg davor nie richtig anstrengend, teilt er jetzt auf den letzten Höhenmetern richtig aus. Ohne Umwege verläuft der Pfad nun via Direttissima über Felsstufen und loses Geröll. Technisch für den ein oder anderen durchaus fordernd. Kurz müssen auch mal die Hände zur Hilfe genommen werden. Mit einigen Verschnaufpausen ist auch dieser Abschnitt zu schaffen. Zur Motivation: Das Schlimmste ist gleich geschafft und der Gipfel zum Greifen nah!

Der Gipfelsturm auf den letzten Metern ist zwar schweißtreibend, dafür aber auch schnell hinter mich gebracht. Schon stehe ich oben am aussichtsreichen Grat, der hinüber zum Gipfelkreuz zieht. Neben dem Grat erstreckt sich ein endloses Bergpanorama. Karwendel, Rofangebirge, Chiemgau, Mangfallgebirge … Dazu lassen luftige Ausbuchtungen neben dem Weg die Tiefe hinab ins Kar erahnen. Zu weit sollte man sich jedenfalls nicht vorlehnen, will man keinen „Schnellabstieg“ riskieren.

Bin ich an diesem Tag noch keinem Lebewesen begegnet, sehe ich am Kreuz das erste Mal einen Wanderer sitzen. Wer Einsamkeit sucht, wird sie im Sommer finden. Dies hängt zum einen mit der Abgeschiedenheit durch die langen Täler, zum anderen mit dem konditionellen bzw. technischen Anspruch zusammen. Ich war schon öfters auf beiden Schinder-Gipfeln, selten bin ich in den Sommermonaten anderen Bergsteigern begegnet.

Ganz anders schaut die Sache im Winter aus. Das schattige Schinderkar konserviert den Schnee in den Vorbergen, als einer der wenigen Frühjahrsklassiker bis weit in den April. Somit machen sich viele Hardcore-Tourengeher mit ihren Bikes und den Skiern am Rücken auf den langen Weg in die Valepp. Ein lohnende Frühjahrstour zwischen steilen Felsnadeln. Da kann es bei guten Verhältnissen schon mal zu regelrechten Völkerwanderungen kommen …

Heute ist dieses Szenario undenkbar. Einsam lässt sich die Bergwelt um mich herum genießen. Nach einem kurzen Plausch mit dem einzigen Gipfelaspiranten mache ich mich an den Abstieg hinab in den Sattel zum Kar. Möchte ich Bayerischen Schinder, Gipfel Nummer zwei mitnehmen, müsste ich zusätzlich eine gute halbe Stunde und ca. 150 Höhenmeter einplanen. Doch so viel Zeit habe ich bezüglich der früh einsetzten Dämmerung nicht mehr. Also bleibt es heute bei einem Gipfel!

Bevor mich das kalte Schattenloch des Schinderkares verschlingt, mache ich auf Graspolstern sitzend, eine ausgiebige Brotzeit. Kalte Luft steigt von der Nordseite auf. Gut, dass ich an dicke Handschuhe gedacht habe. Es wird eine kleine Überwindung, von der warmen Südseite ins Nordkar abzusteigen. Gestärkt wage ich mich in den unangenehmen Teil. Das kurze Stück hinunter zum Felsenfenster besteht aus einer steilen, unangenehmen Schotterrinne, die normalerweise seilversichert ist.

Doch die Drahtseile hängen schlapp neben den Felsen, sie sind aus ihren Ankerungen gerissen. Nach der Winterzeit hat anscheinend noch kein Wegewart nach dem Rechten geschaut, um die Seile zu reparieren. Vorsichtig schiebe ich mich an der Felswand entlang, um auf dem Geröll nicht wegzurutschen. Hier ist Konzentration gefragt. Ein Sturz hätte fatale Folgen …

Der Abschnitt durch das Tor ist ebenfalls nicht ohne. Eisenpfosten für die Tritte sind auch nicht mehr alle vorhanden, ein Eisenstift ist sogar locker. Wäre die Felsstufe durch das abfließende Wasser jetzt noch vereist, könnte man nur noch die Flucht nach oben antreten. Ein Auf- oder Abstieg durch den oberen Teil erfordert alpine Erfahrung. Bei Unsicherheit auf jeden Fall den Aufstiegsweg absteigen!

Geschafft! Nun wartet der spaßige Teil auf mich: Das Kar hinabsurfen! Mit etwas Übung sind ca. 500 Höhenmeter ratzfatz bewältigt. Leichtfüßig springe ich in die schmale, mit Geröll gefüllte Rinne des Kares. Ein Juchzen entfährt meinen Lippen. Zwar nicht vergleichbar mit einer Skiabfahrt im Pulverschnee, doch mindestens genauso schnell. Im Anschluss folgt ein etwas zäher Forstweghatscher, bis ich wieder am Auto stehe.

Der Schinder ist ein vielseitiger Gipfel, der nie langweilig wird. Wir sehen uns wieder im Winter!

GUT ZU WISSEN

Ausrichtung // N, O, S  Bergtour 5 Stunden     1000 Höhenmeter, 6 Kilometer

Art // Bergtour.

Schwierigkeit // Leicht bis Mittel, im Abstieg durch die Steilrinne und das Felsentor schwer (fehlende Befestigung der Drahtseile).

Orientierung // Vom Parkplatz überquert man die Johannisbrücke. Auf der steilen Forststraße bis zur ersten Kehre. Dort links in den Pfad abzweigen und dem gelben Wegweiser Richtung Schinder und Trausnitz-Alm folgen. Der Weg schlängelt sich relativ flach immer am Berghang entlang. Nach der langen Querung wird’s steil. Durch lichten Wald steigt man auf, bis nach 1,5 Stunden die Almflächen erreicht werden. Von dort nordöstlich über die Wiese, danach im steinigem Terrain auf den Bergrücken. Kurz vor dem Gipfel wird’s richtig steil. Über Felsblöcke und Geröll schweißtreibend durch die Latschen, bis man am Grat steht. In 5 Minuten hinüber zum Gipfel.

Abstieg wie Aufstieg oder als Rundweg hinab durchs Schinderkar. Vom Gipfel ca. 150 Höhenmeter in den Sattel absteigen. Nordseitig über eine steile Schuttrinne zum Felsenfenster (lose Drahtseile). Über Eisenkrampen abklettern. Das Kar hinabsteigen/surfen bis zur Markierung. Dieser immer weiter folgen, bis der Forstweg erreicht wird. Rechts halten! Dem Schild Richtung Valepp Parkplatz folgen, bis der Weg auf die steile Forststraße trifft. Von dort hinunter zum Parkplatz.

Beste Jahreszeit // Ende Juni bis zum ersten Schneefall. Wegen der nordseitigen Lage des Kars sollte man die Tour wegen Schneeresten besser erst im Sommer unternehmen.
Einkehrmöglichkeit // Die Trausnitz-Alm (1460m) ist nur manchmal (meist an schönen Wochenenden) bewirtschaftet. Keine Übernachtung möglich!

Anreise // A8 München/Salzburg bis Holzkirchen. Zum Tegernsee und nach Rottach Egern. Nun links ab nach Enterrottach. Über die Mautstraße zur Monialm und weiter Richtung Forsthaus Valepp. Etwa einen Kilometer davor (also ca. 8,5 km nach der Mautstelle) findet man einen kleinen Parkplatz gegenüber der Bushaltestelle (Hinweisschild: Schinder).
Parkplatz // Kurz nach der Johannisbrücke.
Kosten // 5 Euro Mautgebühr.
Mit den Öffentlichen: Von München mit dem Zug zum Tegernsee. Im Anschluss zur Haltestelle Rottach-Egern Post. Weiter mit dem Bus zur Enterrottach Mautstelle. Von dort sind es 11 Stopps zur Haltestelle Valepp Forsthaus. Die Straße muss ein kurzes Stück zurückgelaufen werden, bis der Wegweiser Schinder erreicht wird! Auf Fahrplan und Fahrzeiten muss geachtet werden! 

Ausrüstung // Wanderausrüstung, Stöcke. Für Kinder Gurt und Klettersteigset.

TIPP // Im Winter führt, wie im Artikel erwähnt, ein beliebter Frühjahrsskitouren-Klassiker durchs Schinderkar. Hat die Mautstraße noch geschlossen, muss ein Bike für den langen Anstieg hinauf zur Valepp eingesetzt werden. Je nachdem wie viel Schnee liegt, ist am Felsenfester Schluss. Ansonsten kann durch (selten) über das Fenster bis zum Sattel und weiter bis zum Bayerischen Schinder aufgestiegen werden.