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Hoch und Nieder – Tagestouren im Naturpark Ötztal

Wenn man sich die Welt auf Füßen unter sich legt: Uli auf einem Nebengipfel der Hohen Wasserfalle auf knapp über 3000 Metern Höhe.

Wenn man sich die Welt auf Füßen unter sich legt: Uli auf einem Nebengipfel der Hohen Wasserfalle auf knapp über 3000 Metern Höhe. © Fotos: Enno Kapitza

Das Bergdorf Niederthai ist eine ideale Basis für einsame und lange Tagestouren im Naturpark Ötztal

Der Dualität der Berge begegnen wir im dichten Kolonnenverkehr am Eingang zum langgestreckten Talgrund der Ötztals. Wir könnten hier in die Area 47 einfahren, natürlich Europas größtem Outdoor Action Park, wo wir mit Denglisch weiter kämen als mit dem örtlichen Dialekt. Frei nach Walt Whitmans Gedicht von den zwei Wegen, die sich im Wald trennen, nehmen wir heute einen anderen und hoffen auf den „… better claim“.

Damit verpassen wir allerdings „Packages“ wie „5 Days Action & More“,„Stairway to Heaven“, „Shred & Stay“, aber mit dem Claim „Action 3er“ kann unsere Dreiercombo in den kommenden Tagen auch in der weiten Bergwelt mitschwingen. Uns reichen dafür profane Tagesrucksäcke und Wanderstöcke sowie eine mehrtägige Buchung in einem Gasthaus im Bergdorf Nieder-thai. Dieser kleine, im Sommer nach Heu und Zirben duftende Weiler, liegt wenige Hundert Höhenmeter über dem Talgrund des Ötztals, am Rand des gleichnamigen Naturparks und ist die kommenden drei Tage Ausgangsort für unsere Stufen zum Himmel.

– 1 Lichtblick von der Mahdebene auf den Peistakogel über Niederthai. – 2 Matthias in der Gischt des Stuibenfalls.

– 1 Lichtblick von der Mahdebene auf den Peistakogel über Niederthai. – 2 Matthias in der Gischt des Stuibenfalls.

Day 1: Mein langjähriger Bergbuddy Matthias praktiziert am Frühstücksbuffet die Methode Kamel. Lange bevor Intervallfasten in Mode kam, aß er bereits nur zwei reichliche Mahlzeiten am Tag. Berge an Backwaren, Eierspeisen, Wurst und Käse, Müsli, Joghurt, Kaffee und Säften verschwinden in ihm und seinen unsichtbaren Energiespeichern, die bis zum Abendessen halten.

Grasgipfel unter Grauwolken: Blick von der Mahdebene auf den Ortsteil Tölderboden in Niederthai.

Grasgipfel unter Grauwolken: Blick von der Mahdebene auf den Ortsteil Tölderboden in Niederthai.

Mit Matthias verbindet mich eine lange bestehende Erinnerung an eine gemeinsame Schulzeit und die Liebe zu den Bergen im Sommer. Er überragt mich um mindestens einen Kopf, aber wir können uns auf gleicher Ebene über alles in unseren Leben unterhalten, jedoch auch stundenlang schweigend Bergpfade gehen. Meine Frau Uli und ich haben dasselbe Konditionslevel wie er, sind ebenfalls schwindelfrei und trittsicher, was gemeinsame Tourenplanungen unseres Action-3er-Teams erleichtert. Statt imaginärer Kamelhöcker nutzen wir beide aber Tagesrucksäcke für unsere Gipfelbrotzeit.

– 1 Mutter-Kind-Tage: Kühe im Grastal. – 2 Auf dem einsamen Weg zum Hemerkogel liegt die Obere Hemer Achalm.

– 1 Mutter-Kind-Tage: Kühe im Grastal. – 2 Auf dem einsamen Weg zum Hemerkogel liegt die Obere Hemer Achalm.


– 1 Graue Aussichten ins Grastal und zum Grastalgletscher. – 2 Blockwerk in Orange: Uli und Matthias beim Abstieg ins Grastal. – 3 Mann zeigt Bein am Grastalsee. – 4 Schmelzwasserfall. – 5 Stairway zur Mahdebene.

– 1 Graue Aussichten ins Grastal und zum Grastalgletscher. – 2 Blockwerk in Orange: Uli und Matthias beim Abstieg ins Grastal. – 3 Mann zeigt Bein am Grastalsee. – 4 Schmelzwasserfall. – 5 Stairway zur Mahdebene.

Der Heaven an unserem Action Day 1 ist ruhig und verhangen. Sonnenlos lässt es sich leichter Höhenmeter zu unserer ersten Challenge, dem Hemerkogel, schredden. Wir entsteigen im steilen Bergwald seiner Grenze und auf der westseitigen langen Bergflanke langsam, aber stetig dem Lärm der Motorräder und Autos aus dem Tal. Auf dem Kamm zum Gipfel können wir ins einsame Grastal blicken.

Der darüberhängende gleichnamige Gletscher streckt uns sein sommerlich angegrautes Hinterteil entgegen, aus dem sein Schmelzwasser in den milchigen See mit ebendem Namen abfließt. Ein erstes More bekommen wir, über Blockwerk hüpfend und tänzelnd, beim Abstieg in das einsame Hochtal. Diese Area ist bei selbstständiger Wegfindung eintrittfrei, die gechillten Kühe am Weg keine Statisten. Even more gibt es beim steilen Gegenanstieg, dem Stairway zur Mahdebene. Oben ein einsames Auf und Ab über den Grastaler Höhenweg. Von diesem zweiten Gipfel des Tages wagen wir, einen verfallenen Steig ins Tal zu nehmen, der auf unserer Alpenvereinskarte dünn gestrichelt eingezeichnet ist. „Weglos Kapitza“, wie mich Matthias aus Erfahrung nennt, hat sich durchgesetzt.

– 1 Haydays: In den steilen Hängen oberhalb von Niederthai wird das Gras noch mit der Sense geschnitten. – 2 Kaplaneikirche Hl. Antonius in Niederthai. – 3 Marienbildnis in der Höfelekapelle im Ortsteil Höfle in Niederthai. – 4 Leiden Christi in der Höfelekapelle. – 5 Niederthaier Hochtal auf 1540 Metern Höhe.

– 1 Haydays: In den steilen Hängen oberhalb von Niederthai wird das Gras noch mit der Sense geschnitten. – 2 Kaplaneikirche Hl. Antonius in Niederthai. – 3 Marienbildnis in der Höfelekapelle im Ortsteil Höfle in Niederthai. – 4 Leiden Christi in der Höfelekapelle. – 5 Niederthaier Hochtal auf 1540 Metern Höhe.


– 1 So schmeckt gleich der Spätsommer: frisch geputzte Pifferlinge aus dem Ötztal. – 2 Eine Frau sieht Gelb: Uli mit ihrer Pfifferlingsausbeute. – 3 Pfifferlinge aka Eierschwammerl aka Reherl auf dem Waldboden. – 4 Full Mushroom Experience: Steinpilze und Pfifferlinge. – 5 Geballtes Aroma: frische Steinpilze.

– 1 So schmeckt gleich der Spätsommer: frisch geputzte Pifferlinge aus dem Ötztal. – 2 Eine Frau sieht Gelb: Uli mit ihrer Pfifferlingsausbeute. – 3 Pfifferlinge aka Eierschwammerl aka Reherl auf dem Waldboden. – 4 Full Mushroom Experience: Steinpilze und Pfifferlinge. – 5 Geballtes Aroma: frische Steinpilze.

Wie erwartet hält er eine Elegie auf vergangene gemeinsame Touren, die uns nicht selten in undurchdringlichen Latschenkiefergürteln oder an heiklen Absturzstellen zur Umkehr auf den offiziellen Pfad zwangen. Dieser Steig aber ist noch gut sichtbar, anfangs bocksteil like hell, und damit eine Challenge, die uns zum Ende hin in lichtem Lärchenwald ausrollend nach Niederthai zurückbringt. Dass es dabei nach Pilzen riecht, ist Uli und mir nicht entgangen, mit Scheuklappen gehen wir an den Pfifferlingen vorbei, die wir heute noch links und rechts am Wegesrand stehen lassen.

Auch an Day 2 begrüßt uns Matthias stoisch kauend am Frühstückstisch. Heute steht mit der Hohen Wasserfalle ein real 3000er mit knapp 1900 Höhenmetern Aufstieg auf unserer Bucket List, da muss noch mehr Energy getankt werden. Vom Narrenkogel, unserem ersten Zwischengipfel, blicken wir noch kurz und ohne Wehmut hinunter ins busy Ötztal. Sobald wir dieser Area den Rücken kehren, tauchen wir in eine sanft ansteigende, weite, gelbliche Grasebene ein.

Then took the other, as just as fair
And having perhaps the better claim,
Because it was grassy and wanted wear …
(Walt Whitman/The Road not taken)

In der Stille dieses langen Bergtages begegnen wir wenigen Menschen. Im Langen Wannenkar unterhalb der bis zum Schluss abweisend wirkenden Hohen Wasserfalle gehen wir auf großen, von der Sonne aufgeweichten Altschneefeldern dem Schlussanstieg entgegen. In ausgesetzter, aber leichter Kletterei erreichen wir den einsamen Gipfel mit dem eigentümlichen Namen und grandiosem Rundumpanorama. Der heiße Bergsommertag lockt Uli und mich auf dem Rückweg noch in den 2600 Meter hoch gelegenen Gruesee mit seinem kalten, klaren Wasser. High Five auf diesen Tag!

Action Day 3 wird für Uli und mich zum Mushroom Experience Day. Uns ist auch am Vortag nicht entgangen, dass die Bergwälder momentan voller Pilze stehen. Bergkamel Matthias lassen wir heute allein auf eine Gipfeltour ziehen. Auch wenn sie keinerlei psychedelischen Wirkstoffe haben, reicht der Anblick von Pfifferlingen und Steinpilzen aus, dass Uli mit glasigem Blick in ein Dauergrinsen verfällt. Wir müssen nicht in das in Umhausen gelegene Ötzi-Dorf gehen, um das steinzeitliche Sammler-Gen zu spüren. Die Zeit vergessend, streifen wir durch die Bergwälder um Niederthai. Der Duft von frischem gemähten Gras, das an den steilen Hängen hier immer noch per Hand geschnitten wird, vermischt sich mit den Pilz- und Waldgerüchen.

– 1 Herzig: Wegmarkierung im Wannenkar. – 2 Sulzig: Altschneefeld im Langen Wannenkar. – 3 Luftig: Gipfel der Hohen Wasserfalle. – 4 Plattig: Uli im Anstieg zum Gipfel. – 5 Noch plattiger und luftiger: Enno und Matthias im Schlussanstieg zum Gipfel. – 6 Saftig: Sommergras in Niederthai. – 7 Eisig: Erfrischung im Gruesee auf 2607 Metern.

– 1 Herzig: Wegmarkierung im Wannenkar. – 2 Sulzig: Altschneefeld im Langen Wannenkar. – 3 Noch plattiger und luftiger: Enno und Matthias im Schlussanstieg zum Gipfel. – 4 Plattig: Uli im Anstieg zum Gipfel. – 5 Luftig: Gipfel der Hohen Wasserfalle.


– 1 Saftig: Sommergras in Niederthai. – 2 Eisig: Erfrischung im Gruesee auf 2607 Metern.

– 1 Saftig: Sommergras in Niederthai. – 2 Eisig: Erfrischung im Gruesee auf 2607 Metern.

Heute ist Water Area Day. Tirols größter Wasserfall liegt im oberen Ranking der natürlichen und künstlichen Attraktionen des Ötztals. Man kann ihn wahlweise einen wunderschön angelegten Klettersteig nutzend bewundern, an dessen Ende es abenteuerlich auf einer Seilbrücke quer über das stürzende Wasser geht. Zum Einstieg gehen wir aus Niederthai gut 700 Stufen eines stählernen Stairways und einer 80 Meter lange Hängebrücke hinunter.

I shall be telling this with a sigh
Somewhere ages and ages hence:
Two roads diverged in a wood, and I—
I took the one less traveled by,
And that has made all the difference.
(Walt Whitman/The Road not taken)

Die vergangenen Tage haben uns vergessen lassen, dass es noch andere Bergtouristen gibt. Am Einstieg zum Klettersteig steht jetzt eine große Crowd. Das stand heute nicht auf unserer Agenda. Wir verzichten auf diesen Teil des Packages. Die nachweislich heilende Wirkung des an den Felsen aufstiebenden Wassers euphorisiert aber auch uns. Regenbögen hängen tänzelnd in der nassen Schlucht.

Blick nach Süden auf den Alpenhauptkamm vom Gipfel der Hohen Wasserfalle.

Blick nach Süden auf den Alpenhauptkamm vom Gipfel der Hohen Wasserfalle.

Gut zu wissen

Das zur Ötztaler Gemeinde Umhausen in Tirol gehörende Niederthai liegt wunderbar abgelegen oberhalb des verkehrsreichen Talbodens. Man kann in Ferienwohnungen, Bauern- oder Gasthöfen übernachten und von dort zahlreiche Tagesbergtouren unternehmen. Das Ötztal ist touristisch ansonsten sehr gut erschlossen. Das Spektrum an Aktivitäten ist breit und bedient fast jeden Geschmack und Bedarf.

Tourenvorschläge

Hemerkogel, 2759 Meter und Überschreitung ins Grastal. Lange, einsame Bergtour über teils schwarze Bergwege von Niederthai aus. Es empfiehlt sich, die Route gegen den Uhrzeigersinn über die Untere und Obere Hemrachalm zu machen. Wer noch genug Zeit und Energie hat, kann aus dem Grastal einen steilen Steig auf den Grastaler Höhenweg und den zweiten Gipfel, die Mahdebene, gehen. Von dort den Wegweisern nach Niederthai folgen oder einen verfallenen Steig auf der steilen Westseite nehmen. Insgesamt ca. 1300 Höhenmeter, mit der Variante Mahdebene zusätzlich ca. 250 Höhenmeter. Dauer: 6–8 Stunden, unterwegs keine Einkehrmöglichkeit.

Hohe Wasserfalle, 3003 Meter über Narrenkogel und Gruescharte.
Sehr lange, sehr einsame Bergtour, die solide Kondition und absolute Trittsicherheit in ausgesetztem Gelände voraussetzt. Dafür wird man mit grandioser Landschaft und unvergesslichen Blicken belohnt. Tourdaten: ca. 1950 Höhenmeter im Auf- und Abstieg. Als Rundtour über Narrenkogel, Poschachkogel und nach Rückkehr über die Gruescharte mit direktem Abstieg nach Niederthai zu empfehlen. Der Gruesee lockt mit glasklarem, eiskaltem Wasser.

Stuibenfall
Von Niederthai kann man über eine große Treppenkonstruktion entlang des größten Wasserfalls Tirols hinabsteigen, um sich vom Fuß desselben über einen wunderschönen Klettersteig zurückzuarbeiten. Luftiges Finale auf einer Seilbrücke über den Wasserfall. Komplettes Klettersteigset ist obligatorisch. An Wochenenden und Ferientagen lange Warteschlangen am Einstieg des Klettersteigs. Eintritt frei.