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Felix Neureuther – der Sohn kommt heim

Felix Neureuther – der Sohn kommt heim. Ein Interview

Seltene Ruhepause: Felix Neureuther freut sich drauf, „endlich mal runter vom Gas“ zu gehen © Foto: Simon Koy

War die WM-Bronzemedaille von St. Moritz der krönende Abschluss? In seiner Garmischer Stammwirtschaft gesteht Felix Neureuther seine Zukunftspläne, warum er sich für Kinder einsetzt – und seine Schwester Ameli pfundig ist

Wenn Felix Neureuther, der Garmischer Bua, den „Mohrenwirt“ in seinem Heimatstädtchen betritt, verstummen die Gespräche der Touristen. Den bayerischen Vorzeige-Sportler kennen die meisten ja nur aus dem Fernsehen. Und dies auch nur mit Rennanzug am Körper, mit Brille im Gesicht und Helm auf dem Kopf. Felix wäre aber nicht Felix, wenn er daran gedacht hätte, dass wir auch Fotos von ihm machen wollen. Jedenfalls hat er mal wieder nur seinen grauen Jogginganzug an. Für das Shooting hat der ALPS-Fotograf deshalb vorsichtshalber einen Janker und ein Hemd mitgebracht. Als sich der Lieblings-Schwiegersohn der Deutschen sein Shirt und seinen Hoody auszieht, verstummen die Gespräche im „Mohrenwirt“ endgültig. Vor allem die der zwei jungen Mädels aus Köln am Nachbartisch. Angesichts von Felix’ Sixpack vergessen sie erst zu reden. Dann zu atmen. Nach ein paar Sekunden schnappen die beiden Teenager wieder nach Luft.

 

ALPS: Felix, du fährst seit eineinhalb Jahrzehnten im Weltcup mit, hast Medaillen bei Weltmeisterschaften errungen – aber auch etliche Verletzungen erlitten. Wie lange willst du dir diese Schinderei eigentlich noch antun?
Felix Neureuther: Die meisten Leute denken ja, Spitzensportler seien immer bis unter die Haarspitzen motiviert. Aber die Wirklichkeit sieht oft anders aus, wenn man ein schlechtes Rennen abgeliefert hat, abends Hunderte von Kilometern heimfahren muss und am Montag vor lauter Schmerzen kaum aus dem Bett kommt. Mein Rezept ist dann, Fotos aus unseren Kinder- und Jugendalben anzuschauen. Dann weiß ich wieder relativ schnell, warum ich das alles mache. Warum ich meinen Beruf gegen keinen anderen auf der Welt eintauschen würde.

ALPS: Was hat sich seit damals skitechnisch verändert? Außer, dass heute viel engere Radien gefahren werden?
Felix Neureuther: Ich fand den Stil aus der Zeit, in der meine Eltern gefahren sind, einfach schöner. Sie fuhren geschmeidiger, eleganter, fast schon formvollendet. Heute hat der Slalom, also das Stangenfahren, nicht viel mehr mit dem herkömmlichen Skifahren zu tun. Wenn ein Marcel Hirscher oder ein Alexis Pinturault mit der Eispiste kämpfen, ist das pure Kraft und Power. Die Dynamik ist natürlich schon faszinierend. Aber wirklich schön ist, glaube ich, etwas anderes.

ALPS: Trotzdem stehst du auch gerne auf dem Stockerl und lässt dich feiern?
Felix Neureuther: Ich will schnell Skifahren und Rennen gewinnen. Der Rest interessiert mich nicht. Ich benutze abseits der Rennen lieber den Seiteneingang.

ALPS: Aber es gefällt dir, wenn du in Kitzbühel ins Ziel fährst, dich 30.000 Leute am Hang anfeuern und du im Ziel die Eins aufleuchten siehst.
Felix Neureuther: Das ist der Moment, für den man alle Strapazen und auch Schmerzen auf sich genommen hat. Schon das Gefühl, am Start zu stehen und zu wissen, dass es jetzt nur auf einen selber ankommt, die Skistöcke über die Startschranke zu heben und sich abzustoßen, das sind die Momente, die einen süchtig machen. Wichtig ist mir aber auch die Freundschaft unter uns Rennfahrern. Im Rennen treten wir zwar gegeneinander an und geben alles, danach sind wir aber ein Team und eine Gemeinschaft, wo jeder dem anderen hilft und es auch mal gemeinsam krachen lässt.

„Meine Eltern sind damals schöner gefahren, eleganter, geschmeidiger“

ALPS: Zu einem ordentlichen Testosteron-Bolzen gehört wohl auch der Porsche in der Garage.
Felix Neureuther: Die Kurventechnik beim Autorennen und Skirennen ist die gleiche. Insofern gehört die Liebe zu schnellen Autos zur Ausstattung eines Skirennfahrers. Vom Porsche träumt man gerne, doch wenn man ihn hat, ist er nicht mehr so attraktiv. Ich bin halt ein großer Autonarr. Am liebsten würde ich mich nach dem Skirennsport im Automobilrennsport betätigen. Was viele nicht wissen, ist, dass etwa der Gesamtsieger des Skiweltcups 1997, Luc Alphand, neun Jahre später die Rallye Dakar gewonnen hat. Das liegt uns allen, glaube ich, im Blut.

ALPS: Oliver Kahn ist früher mit seinem Ferrari durch die Münchner Maximilianstraße gebrettert.
Felix Neureuther: Habe die Ehre! Ich glaube, der Oli würde das heute auch nicht mehr so machen. Blödsinn ist aber ein Vorrecht der Jugend. Und über die Jungs, die so etwas anstellen, muss ich schmunzeln. Sehr schmunzeln sogar.

ALPS: Was aber kommt danach?
Felix Neureuther: Die Gedanken mache ich mir schon lange. Es gibt ja genügend Beispiele von Sportlern, die ihre Karriere beenden und dann gar nicht wissen, was sie anschließend anstellen sollen. Mein Ziel ist es, einen sanften und geschmeidigen Übergang hinzubekommen.

ALPS: Fußballer wie Thomas Hässler landen im Dschungelcamp, Andreas Brehme kickt bei der Eröffnung von Autohäusern in der Provinz. Wie wird es dir gelingen, das zu vermeiden?
Felix Neureuther: Das Umfeld im Fußball ist ja viel extremer als bei uns Skifahrern, den Leichtathleten oder in anderen olympischen Sportarten. Den Profis im Fußball wird fast alles abgenommen. In dieser Scheinwelt vergisst man leicht, dass der Alltag nach der Karriere ganz anders aussieht. Ich weiß nicht, wie es mir mal gehen wird, aber ich glaube, dass einen gerade der Skisport nicht abheben lässt. Dafür ist man zu stark mit der Natur verbunden, die Risiken sind zu groß und der Zusammenhalt unter den Sportlern ist zu wichtig. Das gilt auch für das Leben danach.

ALPS: Also, was genau hast du vor?
Felix Neureuther: Der Plan reift gerade. Was schon heute feststeht: Ich werde sicher mein „Beweg dich schlau“-Programm mit Kindern fortsetzen. Ich bin ja schon jetzt mit Freude involviert, organisiere Kindercamps und finanziere sie auch. Mit der Stiftung von Hans-Dieter Cleven habe ich ein Bewegungsprogramm in den Schulen auf den Weg gebracht, mit dem wir bereits jetzt über 400 000 Kinder betreuen. Mir macht das unglaublich viel Spaß, aber ich will mich noch intensiver engagieren. Noch eines ist mir aber nach meiner sportlichen Karriere wichtig: endlich mal runter vom Gas!

ALPS: Das sagst ausgerechnet du! Ein Mann, der ständig mit dem Fuß auf dem Gaspedal steht.
Felix Neureuther: Das stimmt nicht ganz. Mittlerweile kann ich auch einfach auch mal ein Buch lesen oder rumhängen. Und genau das sollten auch Kindern öfter dürfen. Aber sie haben wegen der ständigen Lernerei fast gar keine Chance mehr dazu. Das ist aber komplett die falsche Marschrichtung, gerade in der Schulpolitik. Ich kenne bis auf Heiko Maas und Peter Tauber nicht viele Politiker, die sich richtig bewegen und Sport durch sich selber in die Öffentlichkeit bringen. Auf dem Gebiet sollten auch Politiker viel größere Vorbilder sein.

ALPS: Deine Lösung?
Felix Neureuther: Meine Freundin Miri ist ja Halb-Norwegerin. Und ich habe gesehen: Wie dort die Kinder innerhalb der Schule geistig und körperlich geformt werden, ist vorbildlich. Das dortige Bildungssystem bringt nicht nur unfassbare Spitzenleistungen hervor, sondern auch faszinierende Persönlichkeiten. Dieses kleine Land hat so viele sportliche Erfolge, da kann das Modell nicht so schlecht sein. Die Kinder spielen dort alle ständig draußen! Und je mehr man sich bewegt, desto schlauer wird man auch. Das ist durch unzählige Studien belegt.

ALPS: Also Kindercamps in Vollzeit?
Felix Neureuther: Das weiß ich noch nicht. Ich kann mir auch karitative Engagements vorstellen, ohne kommerziellen Hintergrund. Das sollte sich die Balance halten. Ich freue mich auch immer, wenn ich in Garmisch-Partenkirchen in die Behindertenwerkstätte komme oder bei den Special Olympics vorbeischauen kann. Da weiß man dann wieder, was wirklich wichtig ist. Die Freude von den Mädels und Jungs zu erleben, wenn sie einen im Tischkicker abgezogen haben, füllt alle Reserven wieder auf. Den geistig oder körperlichen Behinderten, mit denen ich dann spiele, ist es doch so was von egal, ob ich mal ’ne Medaille gewonnen habe.

ALPS: Wie war es denn für dich, mit dem Namen Neureuther aufzuwachsen?
Felix Neureuther: Boah, echt zach manchmal. Beim Skifahren ging es ja noch, weil ich mich mit schnellen Zeiten wehren konnte. Beim Fußball dagegen war es schon heavy. Ich höre noch die Trainer der gegnerischen Mannschaften reinschreien: „Haut’s den Neireither um!“ Dann wurde ich weggegrätscht. Aber das war eine gute Lebensschule, denn das brachte Härte. Und ein Kind von Traurigkeit bin ich dadurch auch nicht geworden.

ALPS: Deine Eltern waren omnipräsent im Fernsehen, dein Vater in der Jury von „Dalli Dalli“, deine Mutter bei jedem Jahresrückblick. Wie seid ihr damit umgegangen?
Felix Neureuther: Ehrlich gesagt: Das hat meine Schwester und mich nie interessiert. Wir wussten lange nicht, dass sie Skirennfahrer waren. Das wurde alles von uns fern gehalten. Bei uns stehen keine Pokale herum, und wir haben völlig normal gelebt. Nein, bei uns gibt es viel wichtigere Themen. Zum Beispiel: Meine Mama fragt mich immer noch, ob ich schon etwas gegessen habe.

ALPS: Das klingt nach vollständiger Emanzipation …
Felix Neureuther: Seit ich denken kann, will ich der Felix sein und nicht der Sohn von … Aber da ich ja unbedingt Skirennfahrer werden wollte, waren Vergleiche an der Tagesordnung. Das hat es mir nicht leicht gemacht. Wo immer ich auf Skirennen war, hieß es: „Und jetzt auf der Piste der Sohn von Rosi Mittermaier …“ Noch schlimmer wurde es, als ich begann, im Weltcup zu starten. Die mediale Aufmerksamkeit erhöhte den Druck und die Erwartungshaltung. Meine Eltern unterstützten mich, wo es ging, sie hielten sich total zurück. Aber entscheidend waren natürlich Erfolge. Am wichtigsten in dem Zusammenhang war wahrscheinlich die Silbermedaille in Schladming. Medaillen sind auf dem Gebiet der eigentliche Gradmesser.

ALPS: Die Skifamilie hält zusammen. Einzig deine Schwester Ameli scherte aus, obwohl sie wie eine Eins auf den Brettern stand. Hätte sie eine zweite Maria Höfl-Riesch werden können?
Felix Neureuther: Auf jeden Fall! Ich bin sogar felsenfest davon überzeugt, dass sie mehr als ich hätte gewinnen können. Sie hätte absolut das Talent gehabt, Weltcuprennen zu gewinnen. Aber sie wollte sich abseits des Skigeschehens verwirklichen. Dafür bewundere ich sie.

ALPS: Fährt sie überhaupt noch Ski?
Felix Neureuther: Die fährt begeistert und auch richtig gut, das ist immer unfassbar. Wenn ich sie sehe, meine ich jedes Mal, dass da eine Rennfahrerin den Hang heruntercarvt.

ALPS: Warum wollte sie nie Rennen fahren?
Felix Neureuther: Ameli hatte immer schon ihre eigenen Vorstellungen. Sie wollte nie in dieses Schema reingepresst werden: Mama, Gold-Rosi, Skirennfahrerin. Christian, Papa, Skirennfahrer. Felix, Bruder, Skirennfahrer. Sie hatte einfach keine Lust auf rote und blaue Stangen …

ALPS: … und entschied sich für Mode und Kunst …
Felix Neureuther: Was sie alles mit einem Blatt und einem Stift anstellen kann, ist unglaublich. Im Gegensatz zu mir macht sie etwas Nachhaltiges, was man auch noch in 20 Jahren anschauen kann. Sie wollte von klein auf immer ihren eigenen Weg gehen, Studium in Cambridge, Job bei Marc Jacobs in New York und sechs Jahre bei Wolfgang Joop. Ich bin schon stolz auf meine Schwester.

„Ich kann mir auch karitative Engagements vorstellen, ohne einen kommerziellen Hintergrund“

ALPS: Aber du stehst im Rampenlicht, punktest immer wieder als beliebtester Sportler Deutschlands. Deine Schwester meidet hingegen die Öffentlichkeit.
Felix Neureuther: Sie will als Künstlerin schon wahrgenommen werden, so ist das nicht. Aber vielleicht eher wie der Streetart-Künstler Banksy. Da weiß ja auch niemand, wie der eigentlich ausschaut. Die Menschen kennen nur seine Arbeit – aber weder sein Gesicht geschweige denn ihn selbst.

ALPS: Ist sie manchmal neidisch auf dich?
Felix Neureuther: Im Gegenteil, sie fiebert wie alle in der Familie mit und freut sich mit am meisten, wenn ich gut gefahren bin. Ameli hilft mir ja auch bei Fotoshootings oder schaut nach meiner Facebook-Seite. Da herrscht dann schon Zucht und Ordnung, weil sie mich kennt und weiß, dass ich bei wichtigen Terminen (so wie heute …) in einem Jogginganzug erscheinen würde.

ALPS: Was bedeutet dir dann Familie heute?
Felix Neureuther: Ich bin mit 20 von zu Hause ausgezogen, aber heimkommen ist immer am schönsten. Eltern geben einem zwar ein Leben lang das Gefühl, dass mein ein Kind sei, aber es hat schon etwas, nach dem Training heimzukommen und die Mutter hat das Mittagessen fertig am Tisch stehen. Das genieße ich total. Ohnehin werde ich eh bestens versorgt.

ALPS: Auch von deiner Freundin?
Felix Neureuther: Miri und ich ergänzen uns super, da wir ja ganz ähnliche Tagesabläufe haben. Sie trainiert zwar anders und zeitlich viel aufwendiger, aber dennoch bleiben viele Gemeinsamkeiten inner- und außerhalb der Trainingsabläufe. Also keine Sorge, ich werde optimal versorgt.

ALPS: Mehr Privatissima bleiben tabu?
Felix Neureuther: Absolut. Was ich in meiner Freizeit mache, geht niemanden etwas an. Homestorys von meiner Freundin und mir wird es nicht geben.

ALPS: Bezüglich Facebook machst du es ja ganz clever. Aufgrund deiner Posts glauben die Leute, dich privat zu kennen …
Felix Neureuther: Ich glaube, die Mischung muss stimmen. Meine Privatsphäre ist mir schon wichtig. Deswegen gehe ich hier in Garmisch auch selten aus und wenn, dann meist nur in ganz bestimmte Lokale.

ALPS: Was machen eigentlich deine Umzugspläne? Du wolltest ja mal weg aus Garmisch.
Felix Neureuther: Die hatte ich mal, das stimmt. Das war in der Zeit der Olympiabewerbung, als selbst mein Heimatort dagegengestimmt hatte. Mir ist dann aber bald wieder bewusst geworden, was mir meine Heimat und meine Freunde bedeuten. Ich verdanke diesem Land sehr viel und bin stolz, Deutscher zu sein. Natürlich denkt man immer auch an steuerliche Vorteile. Aber ich bin in Bayern sehr verwurzelt, und so ein Umzug ist schon sehr mühsam. Hier bin ich geboren, von hier kommt meine Freundin, hier ist meine Familie, hier sind meine ganzen Spezls. Ich will mir hier ein Haus bauen und auch gerne hier meinen Lebensmittelpunkt behalten. Wir bleiben uns also treu, mein Garmisch-Partenkirchen und ich.

ALPS: Das hört sich an wie eine Bewerbung für den Tourismusdirektor von Garmisch.
Felix Neureuther: Das ist ja oft so, dass man denkt, dass dort, wo man aufwächst, es am schönsten ist. Bei mir ist es tatsächlich so.

Felix Neureuther // Aufgezählt

Felix Neureuther – der Sohn kommt heim. Ein Interview © Foto: Simon Koy

Wie viele Titel hält der Slalom­spezialist als Deutscher Abfahrtsmeister?
 
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Alter in dem er zum ersten mal auf Skiern stand?
 
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Wie alt war er, als er das erste Mal auf dem Treppchen stand?
 
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