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Gletscher, majestätische Gipfel und Kletterfelsen – In den Bernina Alpen südlich des Malojapasses führt ein Panorama-Höhenweg hinauf zur Schweizer Fornohütte

Fornohütte Schweiz

© Fotos: Katrin Böckelen

St. Moritz ist nicht nur bei Skifahrern sehr beliebt. Auch Bergsteiger kommen im Sommer gerne ins Engadin, in den Kanton Graubünden. Fährt man die schmale Straße noch ein Stück weiter Richtung Italien, wird es jedoch um einiges ruhiger und ursprünglicher. Am Malojapass starten zahlreiche Berg- und Wanderwege. Einer davon entführt den Bergsteiger in Hochgebirgsregionen, ohne dabei Gletscher zu berühren.

Am Malojapass angekommen, strahlt die Sonne mit mir um die Wette. Die hohen Berge ringsum reihen sich wie bei einem Schönheitswettbewerb aneinander. Jeder dieser formschönen Gipfel möchte bestiegen werden. Doch auf meiner ausgedruckten Tourenbeschreibung steht keiner dieser Berge. Mein Ziel ist ein ganz anderes. Versteckt, wild und einsam trohnt die Schweizer Fornohütte auf einem Adlerhorst im Val Muretto, wo es nach dem Morteratschgletscher den zweitlängste Gletscher Graubündens gibt – den Fornogletscher.

Der Plan ist, auf der Hütte zu übernachten, am nächsten Tag den Gipfel des ‚Monte del Forno‘ zu besteigen und anschließend über den ‚Passo di Moretto‘ über einen Rundweg nach Maloja abzusteigen.

Da mich der Name des Ortes unweigerlich an die Bekleidungsmarke Maloja erinnert und das nicht von ungefähr, möchte ich euch dazu eine Anekdote erzählen. Maloja benutzt diesen Ortsnamen bewusst. Es begann alles vor der Markengründung mit einem Foto. Ein fliegender Snowboarder mitten in einer Bilderbuch–Szenerie, bestehend aus hohen, weiß verschneiten Bergen und Pulverschnee. Unter dem Bild steht: Maloja.

2001 reiste der Firmengründer Peter Räuber aus Neugierde dorthin, ungewiss, ob man dort überhaupt Skifahren kann. Im Nachhinein war es die beste Entscheidung. Peter erlebte in Maloja, diesem hoch gelegenen, einsamen Skispot einen legendären Skitag und benannte anschließend die Marke danach. Laut Firmenphilosophie steht der Name für Authentizität und Naturverbundenheit und ist ein Synonym für die Freiheit, den eigenen Weg zu gehen. Ursprünglich geht der Name auf das Wort Maloggia zurück, welche von Hirten aus dem südöstlich benachbarten Veltlin stammt. Es bedeutet Erlenwäldchen.

Ich als Bergsportlerin und Naturliebhaberin kann diese Philosophie, entstanden in dieser ursprünglichen Landschaft, gut nachvollziehen. Dieser Ort ist ein ganz besonderer. Umgeben von hohen Bergen, schroffen Graten und grünen Wäldern ist er der perfekte Ausgangspunkt für sportliche Unternehmungen.

Von St. Moritz kommend, fahre ich mit dem Auto bis zum Ende des Ortes Maloja. Die Zufahrt zum Parkplatz zweigt in der ersten Strassenkurve südlich der Passhöhe ab. Dort angekommen befindet sich ein kostenloser, sehr großer Wanderparkplatz.

Mein Equipment inklusive Hüttenschlafsack für eine Übernachtung auf der Hütte ist gepackt. Entspannt laufe ich vom Parkplatz los. Am Beginn der Forstrasse steht zu meiner Überraschung eine kleine Werbetafel der Fornohütte. Die aus Stein gebaute Hütte steht inmitten einer beeindruckenden Hochgebirgslandschaft. Der Hintergrund des Fotos ist ausgefüllt vom gleichnamigen Gletscher und unzähligen wilden Bergmassiven. Meine Vorfreude auf die bevorstehende Tour wird nun so richtig angekurbelt.

Der erste Abschnitt zur Fornohütte ist der einfachste Teil. Eine breite, gut ausgebaute Forststraße schlängelt sich flach bis zum Bergrestaurant Cavcloccio und ist daher für Familienausflüge sehr geeignet. Kurz vor dem Ende der Straße komme ich an einem idyllisch gelegenen Bergsee vorbei, dem Lägh da Covloc. Anschließend mündet die Straße in eine große Almwiese und ich erreiche auf 1908 Metern die Alp da Cavlo, auf der selbst gemachter Ziegenkäse verkauft wird. Wer Lust auf eine Wanderung hat, kann von dort entspannt weiter in das idyllische Fornotal hinein wandern.

Die Grenze ist hier nicht mehr weit weg, deshalb vermischen sich die Sprachen zu einer eigenen Grenzsprache, bestehend aus einem Italienischen und einem Schweizer Anteil. Lägh etwa bedeutet im schweizerischen See, wobei mein Ziel, die Fornohütte aus dem italienischen übersetzt, Ofenhütte heißt. Grenzregionen sind immer sehr interessant, da zwei verschiedene Sprachen und Kulturen aufeinandertreffen. Auch kulinarisch gesehen ist das was Besonderes. So hat die Fornohütte von beiden Ländern klassische Speisen auf der Karte. Da ist Abwechslung im Kochtopf garantiert!

Weiter geht es über die Wiese der Alp da Cavloc, auf der es stark nach Ziegen riecht und anschließend durch eine wildromantische Hügellandschaft bis zum Plan Canin. Hier befindet sich die Weggablung zum Passo del Muretto, meinem morgigen Abstieg, wo man ins Veltlin gelangen kann. Mein Weg führt geradeaus weiter hinein ins Val Muretto.

Auf einmal höre ich Tierlaute, die immer näher kommen. Ich sehe zuerst nur einen braunen Ziegenkopf, bevor der Rest der großen Herde um die Ecke biegt. Es werden immer mehr und schon macht sich ihr markanter Geruch bemerkbar. Ihre spezielle „Note“ ist auf jeden Fall gewöhnungsbedürftig! Irgendwann ist auch die letzte Ziege an mir vorbei gehuscht. Das Schlusslicht macht die Ziegenhirtin, die gut aufpasst, dass kein Tier zurückbleibt.

Nach dieser tierischen Begegnung folge ich dem Pfad weiter und komme an einem alten Kraftwerk vorbei. Von dort schlängelt sich der Weg auf der rechten Seite des Baches ins wilde Tal. Schnell weicht der federnde Waldboden steinigem Untergrund und es müssen immer wieder lose Geröllfelder überschritten werden. Für den rauen Weg ist es ratsam, festes Schuhwerk zu tragen und Stöcke für mehr Komfort mitzunehmen.

Das Tal ist anfangs noch sehr schmal und lässt links und rechts des Weges massive Felswände aus Granit in die Höhe wachsen. Beeindruckt von diesen steinernen Bollwerken, die vom gewaltigen Gletscher in ihre jetzige Form geschliffen wurden, wandere ich weiter. Langsam weichen die Felswände zurück und der Blick weitet sich.

Der Gletscher ist von hier schon gut sichtbar. Wie ein überdimensionaler weißer Wurm liegt er unbeweglich zwischen den Bergen. Beim Anblick dieses Jahrtausende alten Eisriesens beschleicht mich Demut, Respekt und Dankbarkeit. Ich komme mir auf einmal ganz klein und unwichtig vor. Gleichzeitig befällt mich ein Gefühl der Traurigkeit, wenn man sieht, wie viele Tonnen Eis durch die Klimaerwähnung geschmolzen sind. Für mich persönlich als Hochtourengeherin ist es deshalb so wichtig, die verbleibende Zeit gut zu nutzen und noch viele Gletschertouren zu unternehmen, bevor das Ewige Eis Geschichte ist.

Am Gletschervorfeld angekommen, leitet mich eine kleine Holzbrücke auf die andere Uferseite des Baches. Links geht es nun ein Stück über einen angenehm weichen und sandigen, zum Teil schlammigen Boden. Kaum zu glauben, dass es zu diesem unscheinbaren Untergrund eine interessante geologische Entstehungsgeschichte gibt.

Diese gräulichen glazialen Sedimente entstehen durch Ablagerungen, die direkt im Zusammenhang mit Gletschern entstanden sind, z. B. Moränen. Aber auch Ablagerungen, die am Eisrand im Kontakt mit dem Eis entstanden sind (glaziäre Sedimente). Sie gewähren Einblicke in die früheren Umweltbedingungen und in die sich verändernde Klimabedingungen. Mit ihrer Hilfe lassen sich Aussagen über die Geschichte der Veränderungen in der Natur treffen.

Nach diesem flachen und entspannten Abschnitt führt mich der Weg wieder in steinigere Zonen. Der nun folgende Schlussanstieg ist der anstrengendste Teil. Steil windet sich der markierte Pfad in Serpentinen über loses Geröll die Bergflanke hinauf. Immer wieder suche ich die Markierungen, weil große Felsen den Weg versperren. Links oder rechts, oder oben drüber. Auf den letzten Höhenmetern vereinfachen Treppen das Vorankommen. Die Hütte ist von hier schon gut sichtbar und nicht mehr weit entfernt.

Nach einer kurzen, flachen Querung und den letzten Metern hinauf zum Adlerhorst ist es geschafft. Auf der Sonnenterrasse der Fornohütte genieße ich die gewaltige Aussicht. Der Blick hinunter auf den langen Gletscher ist beeindruckend! Die vielen Gipfel im Hintergrund reihen sich wie stumme, felsige Wächter aneinander und machen ein Durchkommen unmöglich. Trotz des hoch gelegenen Aussichtspunktes ist ein Blick über die Gipfel nicht möglich. Dazu muss einer der anspruchsvolleren Hüttengipfel bestiegen werden. Zum Beispiel der Monte Forno mit 3214 Metern. Am nächsten Morgen werde ich diesen Gipfel besteigen und am Passo del Muretto auf der anderen Talseite absteigen.

Spontan fragen mich die netten Hüttenleute Stefan und Julia, ob ich Lust habe, mit ihnen an den Granitfelsen unweit der Hütte Klettern zu gehen. Da sage ich als leidenschaftliche Kletterin natürlich nicht nein. Mit altem Leih–Equipment ziehen wir los in den angrenzenden Klettergarten, um die Zeit vor dem Abendessen gut zu nutzen.

Für mich ist das Granitgestein Neuland. Die Kletterschwierigkeit besteht darin, am sehr glatten, griff- und trittarmen Fels gut zu stehen und dabei nicht die Nerven zu verlieren. Reibungskletterei vom feinsten! Mit etwas Überwindung gelingen uns ein paar schöne Routen im sechsten und siebten Grad. Ausgepowert freue ich mich beim Abendessen sehr über die nette Begegnung und die Offenheit der Hütten-Crew. Hier an dieser Stelle noch ein großes Dankeschön für die spontane Kletterexkursion!

Am nächsten Morgen starte ich schon sehr früh. Schließlich steht noch eine Gipfelbesteigung auf dem Plan. Mit meinem gepackten Rucksack trete ich vor die Türe. Nebelschwaden ziehen an mir vorüber, die Gräser und Felsen sind mit Tau bedeckt. Es ist kalt. Ich habe in Zwiebelschichten alles an, was zur Reserve eingepackt war. Sogar die dicken Handschuhe erfüllen jetzt am Morgen ihren Zweck. Außer mir möchte heute wohl keiner auf den anspruchsvollen Monte del Forno, dem Hüttenberg.

Ich folge der weiß-roten Markierung über ein großes Geröllfeld, bevor es auf den aussichtsreichen Sattel hinaufgeht. Zwischendurch kämpft sich die Sonne durch die dichte Wolkenschicht. Dadurch entsteht eine wunderschöne, frühmorgendliche Stimmung. Schlagartig macht sich die Wärme bemerkbar. Ich bleibe stehen und ziehe mir etwas von meiner obersten Schicht aus. Am Sattel angekommen genieße ich das Panorama. Die Berge sind hier alle sehr alpin und verlangen vom Bergsteiger Trittsicherheit sowie Schwindelfreiheit.

Links klettere ich über eine glatte Platte, die auf den ersten Blick schwieriger aussieht, als sie dann ist. Wer dort Schwierigkeiten bekommt, sollte wieder umdrehen! Die Markierungen sind ab hier weiß-blau-weiß. Jetzt befindet man sich in hochalpinem Terrain und die Wege werden deutlich schwieriger! Konzentration ist gefragt, denn oft verschwindet der Weg im losen Geröll. Ab und zu bleibe ich stehen, um die nächste Markierung zu suchen. Am Passo del Muretto, wo ich später absteigen werde, bleibe ich nur kurz zum Fotografieren stehen und steige auf dem Südgrat weiter.

Zum Gipfel ist es nicht mehr weit. Der letzte, steile Felsaufschwung ist in etwas ausgesetzter, aber leichter Kletterei und zusätzlichen soliden Stahlketten problemlos machbar. Danach führt der Weg in flacheres Gelände. Das Kreuz ist schon sichtbar. In wenigen Minuten erreiche ich das großzügige Gipfelplateau auf 3214 Metern. Außer mir ist noch ein italienischer Bergsteiger hier oben, der mir auf seiner Karte die umliegenden Berge zeigt.

Trotz des netten Gesprächs bleibe ich nur kurz am Gipfel sitzen, schließlich muss ich heute noch zurück zum Malojapass. Der Rückweg sieht auf der Karte lang aus, außerdem kündigen die Quellwolken für Nachmittags Gewitter an. Nach einem Gipfelfoto laufe ich flott hinab zum Passo del Muretto, bevor der einsame und wilde Abstieg beginnt. Alleine und ohne Handynetz in diesem exponierten Gelände absteigen zu müssen, ruft kurzzeitig ein gewisses Unwohlsein in mir aus, dass ich allerdings mit Ablenkung in Form der schwierigen Wegfindung schnell wieder loswerde. Ohne Erfahrung im weglosen, alpinen Gelände ist von diesem wilden Abstieg abzuraten!

Hier oben in dieser Höhe, im riesigen Geröllfeld den Weg suchend, mit immer dunkleren Wolken im Nacken, lege ich einen Zahn zu. Der Wind frischt auf und ich bin froh, als ich endlich auf den normalen Wanderweg und andere Bergsteiger treffe. Ein Gewitter wäre im oberen Teil fatal.  Laut Wegweiser sind es von hier noch 1,5 Stunden nach Maloja. Der Weg ist nun breiter und durchwegs gut markiert.

Irgendwann komme ich am Kraftwerk vorbei. Die abweisende, steinige Landschaft weicht endlich der lieblichen, mit Lärchen und Kiefern gesäumten Hügellandschaft. Auf der Wiese der Alp da Cavloc grasen die gestrigen Ziegen und verströmen ihren eigentümlichen Geruch. Der Blick in den Himmel lässt nichts Gutes ahnen und so laufe ich im Eilschritt ohne Pause den restlichen Forstweg hinunter zum Parkplatz. Unten angekommen fallen die ersten Regentropfen. Zufrieden sitze ich nach fünf Stunden Auf- und Abstieg im Auto und lausche dem Trommeln des Regens.

GUT ZU WISSEN

Ausrichtung // West  Bergtour Fornohütte: 4,5 Stunden, Monte del Forno: 2,5 Stunden   Fornohütte: 1100 Höhenmeter, 9,3 Kilometer, Monte del Forno: 640 Höhenmeter

Art // Bergtour.
Schwierigkeit // Mittel (T3+). Bei dieser Tour bewegt man sich im alpinen Hochgebirge! Richtige Ausrüstung mitführen und Wetterbericht beachten! Gipfeltour Monte del Forno (T4+): Orientierung für die Wegfindung sowie Trittsicherheit unbedingt notwendig.

Orientierung // Vom kostenlosen Parkplatz über den breiten Forstweg hinauf zur Alp da Covloc (1908m). Von dort sehr flach durch lichten Bergkiefern- und Lärchenwald bis zum Plan Canin (1975m). Den Schildern zur Fornohütte folgend, am Kraftwerk vorbei und auf der rechten Seite des Muretto-Baches den steinigen Bergpfad folgend bis zum Einstieg des Panoramaweges. Über die Nordwestflanke führt der Weg in Serpentinen und über Stufen steil hinauf und kurz vor der Hütte flach querend, rechts um den Pizzi dei Rossi herum.

Tipp: Der Hausberg Monte del Forno (3214 m) ist von der Fornohütte in 2,5 Stunden zu erreichen. Es müssen zusätzlich 640 Höhenmeter bewältigt werden.

Beste Jahreszeit // Juli bis September (Altschneefelder im Frühsommer beachten!).
Einkehrmöglichkeit // Alp da Cavloc – 1908m, Fornohütte – 2574m.

Anreise // Mit dem Auto:
Mit dem Auto via Bergell oder Obergengadin nach Maloja, bzw. zum Malojapass.
Parkplatz // In Maloja befindet sich ausserhalb des Dorfes ein großer Parkplatz: Die Zufahrt zweigt in der ersten Straßenkurve südlich der Passhöhe ab.
Kosten // Kostenlos.

Mit den Öffentlichen:
Bushaltstelle Cad’Mate: Buslinie St. Moritz – Chiavenna, Bushaltestelle Maloja Posta: Buslinie St. Moritz – Chiavenna und Buslinie St. Moritz – Maloja

Von der Bushaltestelle Maloja Posta kann auf dem Sentiero Segantini nach Orden Dent gegangen werden (ca. 20min).

Ausrüstung // Bergtourenausrüstung, warme Kleidung, gutes Schuhwerk.

TIPP // Die Hütte ist der ideale Ausgangspunkt für zahlreiche Aktivitäten: Bergsteigen, Hochtouren oder Klettern – es ist für jeden was dabei. Im Winter hat die Hütte von Ende Februar bis Anfang Mai geöffnet, perfekt um die Berge ringsherum auf Tourenski zu erkunden!