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Gipfel der Schönheit?

Hans Kammerlander über das Matterhorn

Ein Bild von einem Berg: Das Matterhorn gehört zu den alpinen Sehnsuchtszielen schlechthin. © Fotos: Hans Kammerlander

Es gibt kaum einen Berg, bei dem das, was wir in ihm sehen, und das, was er tatsächlich ist, so auseinanderklafft wie beim Matterhorn. Die schöne Form ist faszinierend, keine Frage. Aber im Endeffekt ist der Berg ein überlaufener Bruchhaufen. Ich weiß, dass ich mit dieser Aussage polarisiere. Steht das Matterhorn mit seinen fast 4500 Metern doch wie kaum ein anderer Berg für alpine Sehnsuchtsgipfel.

Das Matterhorn war immer schon ein begehrtes Ziel. Lange galt der Berg als unbesteigbar. Aber 1865 gelang innerhalb von drei Tagen gleich zwei Mal das Husarenstück – die Erstbesteigung des Berges durch eine Seilschaft des Engländers Edward Whymper auf Schweizer Seite und nur drei Tage später gelangte Jean-Antoine Carrel mit seinem Team von Italien aus zum höchsten Punkt. Zu siebt waren Whymper und seine Gefährten aufgebrochen, nur drei schafften es lebend ins Tal zurück. Der Tod als Abschreckung? Im Gegenteil. Ein regelrechter Boom auf den Riesen mit dem charakteristischen Knick setzte ein. Kaum jemand weiß: An keinem Berg der Welt sind so viele Menschen umgekommen wie hier.

Das Matterhorn-Fieber hat auch mich erwischt, so ist es nicht. Ich war kaum 20 Jahre alt, als ich mit meinem Freund Werner Beikircher beschloss, die Nordwand zu besteigen. Wenn ich an den Moment denke, als wir ganz oben standen, spüre ich noch das Gipfelglück dieser Jugendzeit. Ein Gefühl, das ich später als Profi nicht mehr so empfunden habe. Dieser Sonnenuntergang! Wir dachten gar nicht mehr an den Abstieg in der aufkommenden Dunkelheit. Wir kamen von der Route ab, herabfallende Steine zerschlugen mein neues Seil. Erst im Morgengrauen erreichten wir den Wandfuß. Eine grenzwertige Aktion. Erst später habe ich gelernt: Der Abstieg ist der Weg zum Erfolg.

Hans Kammerlander über das Matterhorn

Das Matterhorn habe ich danach lange aus den Augen verloren. Als ich mitten im Wettlauf steckte und ein alpines Ziel das andere jagte, bin ich mit meinem Schweizer Freund Diego Wellig noch einmal hin. Zuvor hatten wir den Nanga Parbat gemeinsam erklommen. Unser Ziel: die Besteigung von vier Seiten innerhalb von 24 Stunden. Der Berg war dabei ein reines Sportgerät, ein Mittel zum Zweck. Das meine ich, wenn ich Wettlauf sage: Um meine Position zu halten, musste ich Berge in unterschiedlichen Ländern auf ganz neue Art besteigen.

Als ich danach in anderen Teilen der Welt unterwegs war, habe ich immer wieder Berge gesehen, deren Form mich an das Matterhorn erinnerte. Ich beschloss, genau solche Berge zu besteigen. Das Projekt „Matterhörner dieser Welt“ war geboren. Der Shivling in Nordindien, die Ama Dablam in Nepal, der Stetind in Norwegen oder der Mount Assiniboin in den kanadischen Rocky Mountains – auch sie ähneln einem Obelisken. Sie faszinierten mich durch ihre Schönheit auch außerhalb des sportlichen Ehrgeizes. Der Weg zum Mount Assiniboin in den Rockys führte durch einen Winterwald, vorbei an den Spuren der Grizzlys. Der Stetind in Norwegen ist fast auf den Meter gleich hoch wie die Terrasse bei mir daheim. Da standen überall Schilder, dass man am Berg nichts zurücklassen darf. Die Route zu klettern erlebten mein Freund Wilfried und ich fast wie eine Erstbesteigung.

Die Berge: ähnlich schön und erhaben, aber frei von Massen an Bergsteigern, die zum Gipfel stürmen. Ich musste wohl in andere Länder gehen, um mein persönliches Matterhorn zu finden.

Der Extrembergsteiger

Der 1956 in Südtirol geborene Extrembergsteiger gehört zu den bekanntesten seines Fachs. Er stand auf 12 Achttausendern und meisterte als Erster eine von zwei Varianten der Seven Second Summits. In jeder Ausgabe von ALPS erzählt Kammerlander eine Geschichte, die ihn besonders geprägt hat.

Web: www.kammerlander.com