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Hans Kammerlander über die Widerstandsfähigkeit der Pioniere am Berg

Bis heute eingebrannt: Kammerlander (hier beim Abstieg vom Gipfel des Gasherbrum 2) erinnert sich oft an diesen Grenzgang.

Bis heute eingebrannt: Kammerlander (hier beim Abstieg vom Gipfel des Gasherbrum 2) erinnert sich oft an diesen Grenzgang. © Fotos: Archiv Hans Kammerlander

Eine Stufe mehr Abenteuer

Wenn ich die Frage beantworten muss, was die härtesten Geschichten in Fels und Eis sind, muss ich an einen Satz von Paul Preuss denken. Preuss, ein begnadeter Freikletterer aus dem Salzkammergut, sagte immer: Wer beim Klettern dreckig wird, hat einen Fehler gemacht. Preuss hatte zwar ein dünnes Hanfseil dabei, kletterte aber ohne je einen Haken zu schlagen und machte sich am Ende noch auf dem gleichen Weg wieder nach unten auf. Die einhellige Meinung damals (was sich wohl in seinem frühen Tod mit 27 Jahren bestätigte): Völliger Wahnsinn, was der macht. Seine Antwort: Das Können ist des Dürfens Maß.

Bis heute nicht wiederholt: 1984 gelingt Reinhold Messner (l.) und Hans Kammerlander die Doppelüberschreitung der beiden Gasherbrums.

Bis heute nicht wiederholt: 1984 gelingt Reinhold Messner (l.) und Hans Kammerlander die Doppelüberschreitung der beiden Gasherbrums.

Preuss gehörte zur Generation von Bergsteigern, die sprichwörtlich ins Unbekannte aufgebrochen sind. So wie George Mallory und Andrew Irvine: Es ist gesichert, dass sie es 1926 am Everest bis auf eine Höhe von 8600 Metern schafften. Ihre Ausrüstung: mehr als spärlich. Die Schuhe: genagelt. Die Erfahrungswerte bezüglich Kälte und Höhenkrankheit: gleich null. Oder Fritz Wiessner, der 1939 mit dem Sherpa Pasang Lama von Nepal aus fast den Gipfel des K2 erreichte (was dann erst 15 Jahre später einer italienischen Expedition gelang). Die beiden hatten keine Route vor Augen, sie wussten nicht, was man bei schlechtem Wetter in dieser Höhe macht, wie viele Biwaks anstehen würden. Sie waren bereit, aufzubrechen und zu sterben. Nur bei Polen und Russen habe ich in meiner Hochphase diese Härte und Leidensfähigkeit der Pioniere gesehen. Die meisten Extrembergsteiger der späteren Generationen haben die fehlende Widerstandsfähigkeit mit Athletik und Ausrüstung wettgemacht.

Die wirklich harten Sachen, das brutale Abenteuer also, das war in meinen Augen das, was in der Zeit passiert ist, bevor sich der Expeditionsalpinismus entwickelt hat. Als in den 50ern die Achttausender in Angriff genommen und dann auch erstbestiegen wurden, passierte das fast immer vor dem Hintergrund einer großen Mannschaft, die militärisch organisiert war und volle Unterstützung leisten konnte.

Wiessner hätte nach eigener Aussage sogar die Chance auf den Gipfel gehabt. Aber der Sherpa hatte Angst vor der einsetzenden Nacht – aus religiösen Gründen. Was wäre das für eine Sensation gewesen? Die meisten Schlagzeilen machte dann eine andere Geschichte: die erste Everest-Besteigung ohne Zuhilfenahme von Sauerstoff durch Reinhold Messner und Peter Habeler. Sportlich war das natürlich eine Spitzenleistung, keine Frage. Aber im Hintergrund war ein Team dabei, ein Arzt und das Wissen, welche Route man gehen kann – und wie man jederzeit zurückkommt. Preuss, Mallory, Irvine, Wiessner: Das war noch eine Stufe mehr Abenteuer.

Auch wenn vieles schon erobert worden ist, auch in den vergangenen 20 Jahren hat es einige herausragende Touren am Berg gegeben. Da denke ich sofort an Hansjörg Auer und seinen Weg durch den Fisch an der Marmolata im Jahr 2007, eine unglaublich kühne Solobegehung. Oder die erste Skiabfahrt vom K2 durch den Polen Andrzej Bargiel 2023. Meine persönlich härteste Geschichte, schrieb ich mit Reinhold Messner. 1984 gelang uns die Doppelüberschreitung der beiden Gasherbrums. Weit und breit kein Mensch, nur zu zweit unterwegs ohne Expedition, die am Berg stationiert ist, sportlich absolut rein. Kurz vor dem Ziel dann der tiefe Fall in eine Gletscherspalte und deshalb noch eine Nacht mehr am Berg. Ein brutaler Grenzgang zwischen Leben und Tod.


Der Extrembergsteiger

Der 1956 in Südtirol geborene Extrembergsteiger gehört zu den bekanntesten seines Fachs. Er stand auf 12 Achttausendern und meisterte als Erster eine von zwei Varianten der Seven Second Summits. In jeder Ausgabe von ALPS erzählt Kammerlander eine Geschichte, die ihn besonders geprägt hat.

Web: www.kammerlander.com