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Eine wilde Skitour in den Stubaier Alpen führt auf die Weitkarspitze, mit einer interessanten Abfahrt durch die Ostflanke

Eine wilde Skitour in den Stubaier Alpen führt auf die Weitkarspitze

© Fotos: Katrin Böckelen

Skitourengeher, welche sich den Ausgangspunkt „Haggen im Sellraintal“ für ihre Gipfelziele ausgesucht haben, wissen in der Regel, dass es sich um eine durchaus anspruchsvolle Tourenregion handelt. Der alpine Charakter, die hohe Lawinengefahr und die Länge der Touren machen das Kraspestal zu einem nicht zu unterschätzenden Ausflugsziel. Wer jedoch über das nötige Skitouren-Knowhow verfügt, günstige Schneeverhältnisse abwartet und genug Muskelschmalz mitbringt, wird hier einen unvergesslichen Skitourentag abseits der überlaufenen Klassiker erleben

Nur wenige Kilometer von der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck entfernt, befindet sich ein kleines Skitouren-Paradies. Das Sellraintal ist seit jeher eine der beliebtesten Skitourenregionen Tirols und wurde 2013 in den Kreis der Bergsteigerdörfer aufgenommen. Der sanfte Tourismus ist hier allgegenwärtig.

Hotelburgen, Après-Ski und Massenabfertigung findet man in den kleinen Bergdörfern ebenso wenig wie seilbahnverdrahtete und von Pisten entstellte Berghänge. Gut so! Schließlich sind wir auf der Suche nach Ursprünglichkeit, Authentizität, Einsamkeit und Ruhe. Diese werden wir heute auf jeden Fall vorfinden, denn unser Gipfelziel befindet sich abseits der überlaufenen Tourenklassiker und ist damit der Garant für einen ungestörten Tourentag.

Los gehts in Haggen (1664m), einem kleinen Weiler bei St. Sigmund im Sellraintal. Der gemütliche Gasthof „Haggen“ ist vor allem als Ausgangspunkt für den beliebten und teilweise überlaufenen „Zwieselsbacher Rosskogel“ bekannt. Dabei gibt es von Haggen aus viele anspruchsvolle Skigipfel, die kaum bekannt sind.

Unsere Tour auf die „Weitkarspitze(n)“ (2947 m) gehört aufgrund des dominierenden 3000er-Nachbarn eher zu den unbedeutenden Nebenzielen. Doch wird sie in meinen Augen zu Unrecht links liegen gelassen! Immerhin bietet sie eine landschaftlich und skifahrerisch reizvolle Route durch alpines Gelände, Plus die Möglichkeit, auf dem Gipfel allein zu sein. Genau nach meinem Geschmack!

Wir sind heute zu dritt unterwegs. Mein Vater, der das Sellrain wie seine Westentasche kennt und Berthold, ein guter Freund von uns. Schon vor 30 Jahren hat er diese besondere Tourenregion erkundet. Irgendwann hat er mich an einem sonnigen Wochenende in das Skitourenparadies mitgenommen und ich habe diese wilde Bergwelt kennen und lieben gelernt.

Obwohl ich hier schon auf fast jedem Gipfel gestanden bin, gibt es immer noch unberührtes Terrain, das von mir entdeckt werden möchte! Die heutige Tour ist für mich nur teilweise unberührt, schließlich war ich schon einige Male auf dem Zwieselsbacher Rosskogel, welcher vom Tourenverlauf zum großen Teil identisch mit dem von der Weitkarpitze ist.

Zunächst laufen wir flach ins Kraspestal hinein. „Kraspes“ heißt so viel wie brüchiges Gestein, von dem es hier vieles gibt. Das ist leider auch dem Klimawandel und der damit verbundenen Permafrostschmelze geschuldet. Der sanfte Anstieg verläuft anfangs durch einen lichten Lärchenwald, bevor sich vor uns das weite Hochtal ausbreitet. Vor allem jetzt im Frühjahr ist an diesem Abschnitt Vorsicht geboten! Die extrem steilen Berghänge sind prädestiniert für Nasschneelawinen. Daher empfiehlt sich ein früher Aufbruch, um das Risiko so gut es geht zu minimieren.

Vor uns ragen die wilden Felsgipfel der Steintalspitzen, des Schölle-, und Pockkogels empor. Nach der ersten Zwing gibt es zahlreiche Aufstiegsmöglichkeiten und Abfahrtsvarianten. Letztere sind skifahrerisch anspruchsvoll. Auf manchen dieser Routen sind die Hänge steil (bis zu 40 Grad), mit Engstellen oder schmale Rinnen versehen und mitunter lawinengefährdet.

Diese Schwierigkeiten erfordern günstige Verhältnisse, um die Abfahrt nicht zur Qual oder sogar zur Gefahr werden zu lassen!

Auch die Krux, ein enges Steilstück Namens „Zwing“ (von zwängen), ist nicht mehr weit entfernt. Der Aufstieg durch dieses anspruchsvolle Nadelöhr verlangt eine solide Spitzkehrentechnik sowie eine sichere Lawinenlage. Je nach Verhältnissen kann diese Passage sehr alpin und technisch werden. Bei wenig Schnee ist es durch den abfließenden Gebirgsbach oftmals sehr eisig, was ein Vorankommen zusätzlich erschwert (unbedingt Harscheisen mitnehmen!).

Heute haben wir Glück. Der letzte Sturm hat den Schnee in die Zwing geblasen, weswegen der Aufstieg schön griffig ist. Ich kann mich an zurückliegende Tage erinnern, da waren wir wirklich froh, die Harscheisen dabei gehabt zu haben, weil ein Teil der steilen Rinne aus reinem Blankeis bestand. Trotzdem sind wir froh, als wir die Bachschlucht hinter uns haben und sich das sanfte Tal vor uns öffnet.

Nun geht es flach an einer idyllisch gelegenen Jagdhütte vorbei bis zum Talschluss. Endlich wärmt die Sonne unsere erkalteten Glieder, denn der Nordwind bläst uns unangenehme, zweistellige Minusgrade ins Gesicht. Doch bald ist es mit der Wärme wieder vorbei und wir tauchen in den eisigen Schatten der imposanten Felswände ein.

Die Route dreht nun nach links Richtung Osten und führt weiter zum westseitigen Steilhang hin. In einer Höhe von 2400 Metern „zwängt“ man sich nun abermals durch eine Engstelle, der zweiten Zwing. Diese ist jedoch vergleichsweise harmlos und technisch wenig schwierig. Wir laufen am Kraspessee vorbei, verlassen kurz danach auf etwa 2750 m die Route des vielbegangenen Anstiegs zum Zwieselsbacher Rosskogel und halten uns rechts, Richtung Westen.

Kaum sind wir im windgeschützen Kessel am Fuße der Weitkarspitze angelangt, dringen die wärmenden Sonnenstrahlen zu uns durch. Zeit wirds, denn meine Hände sind in den nordseitigen Hängen zu gefühllosen Eiszapfen gefroren. Einige Tourengeher fahren gerade vom Zwieselsbacher hinunter. Eine schöne Ergänzung, wenn man die nötige Kondition mitbringt!

Die Aufstiegsspur hinauf zur Weitkarspitze ist bis zur Unkenntlichkeit verblasen. Anscheinend war schon länger keiner mehr auf ihrem Haupt. Wir suchen unseren eigenen Weg durch den Hang. In der immer steiler werdenden Ostflanke steigen wir bis in eine Höhe von etwa 2900 Metern mit Fellen auf, bevor wir zum Skidepot gelangen. Unschwierig kraxeln wir die letzten Meter über Felsen hinauf auf den kreuzlosen Gipfel. Trotzdem ist Vorsicht geboten, abstürzen kann man auch hier!

Oben angekommen empfängt uns wieder mal der eiskalte Nordwind, von dem wir uns angesichts des beeindruckenden Panoramas jedoch nicht so schnell vertreiben lassen. Das Metallkreuz der gegenüberliegenden 2953 Meter hohen Kraspesspitze glitzert verführerisch im Sonnenschein. Einige Skitourengeher befinden sich kurz unterhalb des Gipfels.

Im Süden ragen die hohen Spitzen der Ötztaler Alpen empor: die Wildspitze (3768 m) – der höchste Berg Nordtirols. Sowie die höchste Erhebung der Stubaier Alpen: das Zuckerhütl mit 3507 Metern. Dazwischen und darüber hinaus befindet sich entlang der deutsch-, österreichischen und italienischen Grenze ein wildes Gipfelmeer.

Nach einer ausgiebigen Brotzeit in einer windgeschützen Mulde freuen wir uns auf den konservierten Pulverschnee. Doch teilweise trügt der Schein, denn schnell ist klar, dass wir aufgrund der schlechten Grundlage auf mögliche Steinkontakte aufpassen müssen.

Trotz alledem sind wir zufrieden mit dem Schnee! Einige Abschnitte sind richtig schön zu fahren, vor allem die Ostflanke war ein Genuss! Unten im Tal ist es kaum wärmer geworden. Schnell schlüpfen wir in die behagliche Stube des alten Gasthofes, der für seine Tiroler Spezialitäten bekannt ist. Ein gelungener Abschluss!

GUT ZU WISSEN

Ausrichtung // Nord/Ost/West  Skitour  3,5 – 4 Stunden   1300 Höhenmeter, 14 Kilometer

Art // Skitour.
Schwierigkeit // Mittel.
Lawinengefahr: Hoch! Das Kraspestal ist nach Neuschnee und Erwärmung lawinenbedroht, außerdem sind die Steilstufen kritisch zu beurteilen.

Orientierung // Vom Parkplatz des Gasthofs Haggen in sanften Anstieg durch das Kraspestal bis zur Steilschlucht der ersten Zwing. Nach diesem kurzen Steilstück taleinwärts, dann links (Richtung Osten) abbiegen und auf 2400 Metern erneut durch eine Engstelle. Danach geradewegs weiter zum Kraspesferner. Etwa bei 2700 m hält man sich rechts Richtung Westen und steigt in einer Ost-Flanke bis in eine Höhe von ca. 2900 m mit Fellen auf. Anschließend unschwierig weiter zum Gipfel.

Beste Jahreszeit // Januar bis April.
Einkehrmöglichkeit // Gasthof Forellenhof, Gasthof Haggen am Ausgangspunkt.

Anreise // Von Norden: Über die A95 München-Garmisch, dann über Mittenwald, Scharnitz, Zirl ins Sellrain, hier Richtung Kühtai bis Haggen.
Parkplatz // Haggen im Sellrain, Parkplatz beim Gasthof Forellenhof (1650 m).
Kosten // –
Mit den Öffentlichen: Von Innsbruck kommend mit dem Regiobus Sellraintal 4166 nach Haggen. Beachte den Fahrplan: www.kuehtai.info

Ausrüstung // Skitourenausrüstung, LVS-Equipment.

TIPP // Gipfel Nummer zwei: Zwieselsbacher Rosskogel (3082). Wer über die nötige Kondition verfügt und sich den fantastischen Ausblick von einem gut besuchten 3000er nicht entgehen lassen möchte, sollte die zusätzlichen 150 Höhenmeter unbedingt dranhängen! Eine lohnende Ergänzung in einer hochalpinen Umgebung.