Die jungen Wirte Andrea und Benno verwöhnen ihre Gäste auf der modernisierten Tölzer Hütte mit köstlicher, überwiegend vegetarischer Kost, traumhaften Kuchen und viel guter Laune
Möglicherweise war es dieser eine Moment für die damalige Chef-Patissière Andrea Held: Als sie an ihrem Arbeitsplatz in einem 5-Sterne-Hotel in den Schweizer Alpen erfuhr, dass zu einem Kindergeburtstag einer Gastfamilie die Torte nicht aus der von ihr geleiteten hoteleigenen Konditorei kommen, sondern von einem gerade auf Instagram angesagten Pastry Shop in New York mit einem Privatjet eingeflogen werden sollte, dass es nun Zeit für einen Szenewechsel sein könnte.
Wenige Jahre später sitzt sie seelenruhig in einem kleinen Gewächshaus bei ihren Tomaten, Auberginen und anderem Gemüse auf 1850 Meter Höhe im Vorkarwendel. Unterhalb des felsigen Einstiegs zum 250 Meter höher gelegenen Gipfel des Schafreuters halten sie und ihr Partner Benjamin „Benno“ Schödel direkt hinter der Küche der Tölzer Hütte in einem selbst gebauten Stall mehrere Legehennen und einen Hahn. Sie lassen sich zweimal die Woche regionale Zutaten wie bayerischen Dinkel, Brot, Saft, Speck, zusätzliche Bio-Eier, Gemüse, Salat und Bier aus der Brauerei Reutberg mit einer mehr als fünfzig Jahre alten Materialseilbahn aus dem Rißtal im Naturpark Karwendel hochbringen.

In den blauen Bergen sitzen wir: Übernachtungsgäste in der neuen Panoramastube.
Welch ein Glück für die Gäste der Tölzer Hütte, die seit dem Frühjahr 2023 Andrea Helds täglich nicht nur frisch gebackene Kuchen wahlweise auf der Sonnenterrasse, der historischen Zirbelstube oder dem modernen Gastraum mit Panoramablick auf die Gipfel des Karwendels genießen zu können. Auch wenn man annimmt, dass nach beinahe eintausend Höhenmetern Aufstieg alles schmecken könnte, merkt man schnell, dass hier oben etwas anders ist.




Das Hüttenwirtspaar mit den leuchtenden Augen und der sympathischen Aura legt großen Wert auf die Qualität der Produkte, die in der Küche von Andrea und ihrem kleinen Team zu Kaiserschmarrn, Brotzeiten, Suppen und täglich wechselnden Abendmenüs verarbeitet werden. Fleisch gibt es nur in Form von Rinderkraftbrühe, Hüttenwurst oder Speck. Die vegetarischen Gerichte sind so gut, dass die meisten Gäste gern auf diese Fleischoptionen verzichten. Bringt der örtliche Jäger aber mal einen frisch geschossenen Hirsch, dann wird dessen Fleisch natürlich verarbeitet und den Gästen angeboten. Mehr Bio und Regionalität gehen nicht. Andrea und Benno legen Wert auf Tierwohl und kulinarische Qualität statt auf vegetarische Missionarsarbeit. Die gebratenen Breznknödel mit Bergkäse, der Klassiker auf der Speisekarte, überzeugen selbst eingefleischte Bergcarnivoren gänzlich uninquisitorisch zum temporären Verzicht. Das Abendmenü am Tag der Recherche bot zur Vorspeise eine Butternut-Kürbissuppe an, danach wahlweise Graupen-Blumenkohlrisotto mit gerösteten Walnüssen und Bergkäse oder Hüttenmakkaroni mit vegetarischer Bolognese. Der Trend in den Bergen geht immer weiter zu biologischer, vegetarischer oder auch veganer Kost, wie auf der Franz-Fischer-Hütte im Salzburger Land, die Benno bewundernd erwähnt. Auf der Tölzer Hütte ist man noch etwas pragmatischer und doch gleichzeitig nah am Zeitgeist der immer jünger werdenden Wandersleute und Hüttenwirte.

Greenwashing: Delps See unter dem Stierjoch.
Vor fünf Jahren hatte die Konditorin und Hotelbetriebswirtin Andrea ihren Benno auf einer Skitour am Sudelfeld kennengelernt. Der beinahe gleichaltrige Zimmerer und Holzbauingenieur und sie, nun ein Paar, arbeiteten gemeinsam auf der Tutzinger Hütte, als deren Chefin und Wirtin ihnen erzählte, dass die Tölzer Hütte neue Pächter sucht. Sie hatten schnell verstanden, dass die Bewirtschaftung einer Berghütte wenig mit Romantik, aber viel mit harter Arbeit zu tun hat. Gleichzeitig aber auch ihrer beider Vorstellung einer sinnvollen und sinnstiftenden Tätigkeit in grandiosem Natursetting entspricht. Mit ihren verschiedenen Skills sind sie wie gemacht für die unzähligen Anforderungen auf einer Berghütte. Unter sechzehn Mitbewerbern entscheidet sich die Tölzer Sektion des Deutschen Alpenvereins für das Traumpaar, beide Mitte dreißig. Die als Schutzhaus deklarierte DAV-Hütte, mittlerweile etwas über hundert Jahre alt, liegt im Grenzgebiet zu Tirol auf österreichischem Staatsgebiet. Bis in die 1970er-Jahre musste man alles zu Fuß, mit Mulis oder Pferden aus dem Tal hochbringen. Der Bau der Materialseilbahn, damals trotz vieler Widerstände realisiert, erleichterte die Arbeit der Hüttenmannschaft und hob den kulinarischen Standard für die Gäste deutlich.


Unverändert jedoch ist der nach fast allen Himmelsrichtungen weit geöffnete Blick auf den Naturpark Karwendel und die dahinterliegenden Bergketten sowie nach Osten in die Bayerischen und Tiroler Alpen. Der Sonne kann man am Morgen vor der Hütte beim Aufgehen in Gegenwart von tiefenentspannten Kühen entgegenblinzeln und sie am Abend, auf dem nahen Delpsjoch sitzend, mit einem Gipfelbier aus dem Hüttenkühlschrank verabschieden.
Ein Abstecher auf den Gipfel des Schafreuters, als Rundtour über seine von Gämsen bewohnte Westflanke und den langen von Kühen und Schafen beweideten Rücken oder eine kurze Einlage mit felsiger Steilstufe lässt sich tagsüber oder auch vor Sonnenaufgang einbauen. Erwischt man einen warmen Sommertag, lockt danach der einsam gelegene Delps See im Osten mit seinem kalten, klaren Wasser. Wo man höchstens von neugierigen Kühen beobachtet wird.





Aus den 70 Schlafplätzen auf der vor wenigen Jahren umfassend sanierten und sanft um den Panorama-Gastraum erweiterten Hütte wählt man zwischen Zwei- und Mehrbettzimmern sowie klassischen Lagerschlafplätzen. Gästen mit Hunden steht nach vorheriger Anmeldung der Winterraum offen. Die Lager und Zimmer sind immer noch rustikal und beinahe historisch, die Energieversorgung ausgeklügelt und nachhaltig: Holzstockbetten unter Solarpaneldach.
In der Saison zwischen Mitte Mai und Mitte Oktober stehen vier bis fünf junge, motivierte Mitarbeiter und gern auch Familienmitglieder und Freunde als ehrenamtliche Helfer den jungen Wirtsleuten zur Seite. Einen einzigen Ruhetag in der Saison gönnt sich das Team, das dann ins Tal einen Betriebsausflug macht. Gäste, die sich vorher nicht informiert haben, stehen trotzdem nicht vor verschlossener Tür, sie können sich in der Stube Getränke und Brotzeit für wenig Geld kaufen.
Weitere kleine Auszeiten für das Hüttenteam vom sonstigen Dauerbetrieb sind auf einem der Hausberge oder im weiten Gelände möglich; bisheriger Rekordaufenthalt ohne Abstieg ins Tal waren vier Wochen. Das war dann doch zu lang – obwohl der Sternenhimmel hier oben ohne künstliches Umgebungslicht umwerfend ist. Wir haben ihn bei unserem Besuch von der Holzliege aus bestaunt. Die Sonnenterrasse wurde zum Sternendeck.





Am nächsten Tag findet man aus einer Auswahl mehrerer Kuchen sicher sein Stück, in unserem Fall einen Kirschstreusel, so gut, dass wir uns sicherlich nichts anderes von einer anderen Konditorei auf der Welt einfliegen lassen würden. So schmecken die Berge, gemäß dem Motto einer Aktion des Alpenvereins, die auf regionale Zutaten und sicherlich keine Flugtorten aus dem fernen New York setzt.









Die Tölzer Hütte liegt auf dem österreichischen Teil des Vorkarwendels, wird aber von der DAV-Sektion Bad Tölz betrieben. Lagerplatz oder Zimmer kann man online reservieren: toelzer-huette.at/bleiben.
Die Hütte öffnet je nach Schneelage von Mitte Mai bis Mitte Oktober und ist täglich geöffnet. Von 11–16 Uhr kann man von der Speise- und wechselnden Tageskarte bestellen, ab 18 Uhr täglich wechselnde Abendmenüauswahl möglich. Es gibt überwiegend vegetarische oder vegane Speisen sowie eine große Kuchenauswahl.
Es gibt mehrere Zustiegsvarianten zur Tölzer Hütte auf alpinen Steigen. Trittsicherheit ist erforderlich.
Aus dem Rißtal von der Oswaldhütte Richtung Moosen-Alm und unterhalb des Schafreuter Gipfels in ca. 3–4 Stunden. Aufstieg ca. 1000 Höhenmeter.
Ebenfalls im Rißtal, etwas weiter südlich, kurz vor der Kaiserhütte, beginnt der kürzeste Aufstieg über den Leckbachweg in ca. 2,5–3 Stunden mit ca. knapp 940 Höhenmetern Aufstieg.
Aus Fall kann man über den Grammersberg, das Grasköpfl und den Schafreuter in einer anspruchsvollen und mehrstündigen Tour mit knapp 1600 Höhenmetern Aufstieg und mehreren kurzen Abstiegen die Hütte erreichen.
Ebenfalls aus Fall über das Krottenbachtal in 4–5 Stunden, vorbei an Wasserfällen und am Delps See (lange und einsamse Variante).
Gipfel: Das Delpsjoch ist entspannt in einer knappen halben Stunde erreichbar und bietet neben weiten Blicken auch eine Vogelperspektive auf die Tölzer Hütte. Der Schafreuter ist weniger als 300 Höhenmeter entfernt, das Stierjoch über dem Delps See ist ebenfalls ein lohnendes Ziel.
Alle Übergänge zu benachbarten Hütten sind schwer und weit. Zur Plumsjochhütte sind es ca. 15 Kilometer. Die Falkenhütte und das Karwendelhaus liegen gar mehr als 20 Kilometer Strecke entfernt.
Web: toelzer-huette.at





