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Hans Kammerlander – Ist Bergsteigen messbar?

Hans Kammerlander Drei Zinnen

Seiltanz: Im Fels der Drei Zinnen. © Fotos: Archiv Hans Kammerlander

Hans Kammerlander über eine Frage, die Alpinisten seit Jahrzehnten beschäftigt

Natürlich kann man im Bergsteigen Dinge messen. Wer zum ersten Mal auf einem Gipfel stand, zum Beispiel. Everest, K2, Manaslu, es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein Jäger irgendwann mal vor den Erstbesteigern dort war und nur niemandem davon erzählt hat … Wenn es aber um die Frage der Geschwindigkeit einer Besteigung geht, dann fängt es schon an. Leistungen am Berg kann man nicht wie die Abfahrt auf einer Skipiste miteinander vergleichen, denn die Bedingungen können so unterschiedlich sein, dass der bessere Bergsteiger für eine Tour doppelt so lange brauchen kann wie jemand, der bei Weitem nicht die gleichen Fähigkeiten am Berg hat.

Wetterbedingungen sind das eine. Der Faktor Vorbereitung das andere. Wie aussagekräftig ist der Rekord einer Solobegehung, die vorab bis ins kleinste Detail vorbereitet wurde? Wer eine Route über lange Zeit studiert und immer wieder geht, kennt sie irgendwann fast blind. Es braucht dann kein Herantasten mehr an schwierige Stellen, es wird keine Kraft vergeudet beim Suchen nach dem richtigen Griff. Es wird Zeit gespart. Das ist das große Problem bei Solobegehungen, mit denen Bergsteiger immer wieder Furore machen. Oft entpuppen sie sich dann als Eintagsfliegen, weil nur auf dieses eine Projekt hingearbeitet wurde.

Genau deshalb ist es auch so schwierig, Bergsteigen als Sport einzustufen. Reinhold Messner hat immer gesagt: Das, was wir tun, ist kein Sport. Damit meint er natürlich: kein Sport im Sinne von Mess- und Vergleichbarkeit.

Eine Ausnahme ist das Klettern. Nicht das Klettern in einer Wand am Berg, wo eben genau das Beispiel der Einstudierbarkeit gilt. Sondern der klassische Wettkampf in der Halle, an einer Wand, die man vorher nicht kennt. Das gibt den Athleten wohl die gleiche Grundbasis, so wie beim Biathlon oder eben einer Skiabfahrt.

Hans Kammerlander Annapurna

Kraftakt: Hans Kammerlander 1985 auf dem Weg zum Gipfel der Annapurna.

Wenn wir von Messbarkeit am Berg sprechen, müssen wir über das Thema Bedingungen und Zeit hinausblicken. In den vergangenen Jahren hat sich eine massive Haltung entwickelt, Leistungen aus vergangenen Jahrzehnten am Berg mit neuen technischen Möglichkeiten nachzuprüfen und dann sehr oft anzuzweifeln. Davon können die besten Extremalpinisten und -alpinistinnen ein Lied singen. Reinhold Messner und Gerlinde Kaltenbrunner wurden Achttausender-Besteigungen aberkannt, auch den bereits verstorbenen Bergsteigern Jerzi Kukuzka und Erhard Loretan wurden Gipfelerfolge streitig gemacht. Ein völlig sinnloses Puzzlespiel. Wenn jemand an einem Gipfelgrat bei einer extrem schwierigen Besteigung ankommt und hinter einer Wächte zum Gipfel kriecht, damit ihn der Wind nicht voll trifft, und sich wegen der schlechten Sicht im höchsten Punkt um wenige Meter irrt – dann muss es eine Toleranzgrenze geben!

Fehler am Berg passieren – ich weiß das selbst am besten. Als ich 1991 die Shishapangma in Angriff nahm, erreichte ich den Gipfel oder besser gesagt das, was ich im dichten Nebel dafür hielt. Ich hatte den nur wenige Meter tiefer liegenden Mittelgipfel bestiegen, und das, ganz ohne GPS oder andere Hilfsmittel, schlicht nicht verstanden.

Beispiele wie diese zeigen doch, wie schwierig messbar Bergsteigen in Wahrheit ist. Und was für einen großen Einfluss Faktoren wie die Bedingungen am Berg haben. Heute sind die technischen Möglichkeiten diesbezüglich größer und Fehler werden auch dadurch eingedämmt. Das Besteigen eines Achttausenders wird dadurch freilich planbarer. Abenteuer? Das war einmal.

Der Extrembergsteiger

Der 1956 in Südtirol geborene Extrembergsteiger gehört zu den bekanntesten seines Fachs. Er stand auf 12 Achttausendern und meisterte als Erster eine von zwei Varianten der Seven Second Summits. In jeder Ausgabe von ALPS erzählt Kammerlander eine Geschichte, die ihn besonders geprägt hat.

Web: www.kammerlander.com