Wenn es unten im Tal immer grüner wird, die ersten Krokusse aus dem Boden sprießen und den Frühling einleiten, dann ist der Kontrast zu den weiß verschneiten Bergspitzen in den Hochlagen besonders groß und damit sehr reizvoll! Frühjahrsskitouren stehen nun auf dem Programm. Um ohne große Tragestrapazen auf die jeweiligen Touren starten zu können, bieten sich hoch gelegene Ausgangspunkte an: etwa das Kühtai in den Stubaier Alpen.
Es ist Anfang März. Eine gute Zeit, um vor den ersten richtigen Wärmeeinbrüchen noch einige Skitouren zu unternehmen oder Pisteln zu gehen. Doch die Schneelage ist in den niedriger gelegenen Bergregionen teilweise so prekär, dass das Saisonende vielerorts notgedrungen vorverlegt werden musste oder nur noch eine Frage der Zeit ist. Zweistellige Plusgrade in den vergangenen Wochen sorgten für vorzeitige Skigebietsschließungen, Eventabsagen im Langlaufsport und traurige Gesichter bei den Wintersportlern. Das Einzige, was jetzt noch hilft, ist die Höhe! Ab 2000 Metern sorgten ergiebige Schneefälle für eine Verlängerung der Wintersaison, im Tal aufgrund des Regens für vorzeitige Grünphasen.
Doch heute versuchen wir, einen normalen Skitourentag bestmöglich zu genießen. In den Stubaier Alpen nahe Innsbruck kann auf den hohen Bergen durchaus noch eine Zeit lang Wintersport betrieben werden. Das Kühtai wirbt mit Schneesicherheit bis Mitte April. Und tatsächlich: Eine geschlossene, glitzernde Schneedecke zeigt das Skigebiet von seiner besten Seite. Auf dieser Tour dabei ist eine gute Freundin, Finja, die zwar warme Temperaturen und den Sommer vorzieht, jedoch auch mal einen sonnigen Bergtag auf Skiern feiert. Wir starten am Parkplatz Klammbrücke auf knapp 1900 Metern. Kurz müssen wir unsere Ski tragen, bevor es die ersten knapp 70 Höhenmeter über einen steilen Hang etwas beschwerlich hinaufgeht. Bei einem frühen Aufbruch können hier Harscheisen sinnvoll sein! Ab und zu rutschen unsere Felle auf der noch teilweise gefrorenen Skitourenspur weg, was mit einer guten Technik allerdings nicht weiter schlimm ist. Anschließend wird das Gelände flacher und wir folgen der mäßig ansteigenden Spur taleinwärts, oberhalb der Klamm. Von hier ist das komplette Tal einsehbar, jedoch nicht unser heutiges Ziel: der Rietzer Grieskogel.
Dieser versteckt sich in östlicher Richtung hinter einer Kuppe und wird erst nach dem Verlassen des Tales sichtbar sein. Viele Leute sind trotz der guten Verhältnisse nicht unterwegs. Auch wenn diese Tour als stark frequentiert eingestuft wird, hatte ich bisher noch nie mit einem Ansturm zu tun. Klar, wir beide haben das Privileg, unter der Woche unterwegs zu sein, allerdings habe ich selbst an einem Sonntag noch nie die Massen gesehen, wie sie mittlerweile auf den Sellrain-Klassikern „Lampsenspitze“ und „Zischgeles“ anzutreffen sind. Also Entwarnung für alle Skeptiker und falls doch Zweifel bestehen: Im Tourentipp nenne ich Ziele, die zwar auch in diesem Tal, also in der Nähe des Rietzers sind, allerdings wegen ihres Anspruchs nicht oft besucht werden. Wir queren immer weiter entlang der Klamm, bis wir endlich das Talende erreicht haben.
Nun gibt es zwei Möglichkeiten, denn wir befinden uns an einer Abzweigung: Entweder man folgt der Skitourenspur nun rechts weiter hinauf zum Rietzer Grieskogel, oder man steigt geradeaus hinauf zum Kreuzjoch (2.563m), das nach 250 Höhenmetern unschwierig erreicht wird. Wer Lust hat, kann vom Joch über den Grat weiter auf den Gipfel des Mitterzaigerkopfes (2.628m) aufsteigen, auf dem man sicherlich alleine die Aussicht genießen kann! Da sich eine Kombination aus Rietzer Grieskogel sowie Kreuzjoch auf jeden Fall anbietet, beschließen wir, erst auf unser eigentliches Ziel zu kraxeln. Ich benutze das Wort „kraxeln“ deshalb, da es am Ende am Gipfelaufschwung noch mal kurz zur Sache geht. Eine kurze Rinne muss dabei überwunden werden. Aber dazu später mehr …
Wir erreichen nach einer kleinen Geländekuppe die „Zirmbacher Narrenböden“, eine flache Mulde mit einladenden, breiten Skihängen. Von hier ist unser Gipfel zum Greifen nah. Das imposante Eisenkreuz reflektiert verführerisch in der Sonne. Doch so schnell, wie einem das Auge vermeintlich suggeriert, gehts dann leider doch nicht. Vor uns versperrt ein langer Felsriegel den Weg. Daher muss die Geländestufe auf ihrer rechten Seite weit umgangen werden. Das kurze Steilstück fordert eine solide Spitzkehrentechnik und eine sichere Lawinensituation, da dieser Hang oft kritisch zu beurteilen ist. Vor allem bei Neuschnee oder im Frühjahr an sehr warmen Tagen. Die Wärme staut sich auch heute im schweißtreibenden Anstieg. Danach darf durchgeatmet werden, was aufgrund der Höhe meist in einer schnelleren Frequenz passiert.
Es wartet nun der letzte Teil des Anstieges auf uns, der zuerst flach auf dem Hochplateau des Felsriegels verläuft. Auf der Geländekante sollte man sich etwas Zeit nehmen und das herrliche Panorama auf die umliegende Bergwelt der Stubaier Alpen in vollen Zügen genießen. Gegenüber, ein Tal weiter, sieht man die breiten Hänge des Kühtaier Skizirkus. Dahinter befindet sich die künstliche Anlage des Finstertaler Stausees, von dessen Staumauer Freerider gerne hinab ins Tal rauschen. Ein gefährliches Unterfangen, weil sich der Schnee durch die Steilheit nur schwer mit dem Untergrund verbinden kann. Hier sollten nur Freeride-Spezialisten anzutreffen sein! Unser Adrenalinpegel ist dagegen noch sehr überschaubar, doch auch Finja schaut etwas skeptisch zum Grat. Doch ich kann sie beruhigen. Heute herrschen perfekte Schneebedingungen, um entspannt über den Grat zum Gipfel stapfen zu können.
Gesagt – getan! Nach einer kurzen Brotzeitpause auf dem Sattel des Skidepots steigen wir auf dem unschwierigen Rücken des Zubringers hinauf zum Rietzer Grieskogel. Doch verharmlosen möchte ich die Passage am Grat nicht. Trittsicherheit sowie Schwindelfreiheit sollten auf jeden Fall vorhanden sein, denn die ein oder andere ausgesetzte Stelle muss ohne mentale oder technische Probleme bewältigt werden können! Für routinierte Skitourengeher stellt der Grat jedoch keine Schwierigkeiten dar und kann als leicht alpine Zugabe in vollen Zügen genossen werden. Auch hier trennt sich, mit einem Augenzwinkern, die Spreu vom Weizen, was den Gipfelanstieg oft zu einer ruhigen Sache macht. Schließlich kann am Skidepot ohne Stress gewartet werden. Finja steigt nun über den ersten, steileren Aufschwung weiter hinauf. Lässig setzt sie Schritt vor Schritt, ohne dabei aus der Ruhe zu kommen.
Wir befinden uns nun kurz vor dem letzten Aufschwung unterhalb des Gipfels. Eine Schweizer Gruppe, bestehend aus einem Bergführer und drei älteren Herren, stehen vor uns in der Scharte und besprechen die Routenführung durch den steilen Felsenteil. Mit einem Pickel bewaffnet steigt der Bergführer als Erster vor, um seinen Kunden Stufen in den Schnee zu hauen. Direkt hinter ihnen warten wir immer wieder, bis die teilweise etwas unsicheren Gipfelaspiranten endlich oben angekommen sind. Die felsdurchsetzte, steile Rinne lässt sich am heutigen Tag sehr gut hinaufklettern. Diese etwas heikle Stufe begrenzt sich auf wenige Meter und lässt sich meistens ohne Schwierigkeiten begehen, da immer tiefe Trittspuren vorhanden sind. Einmal kurz um die Kurve. Das massive Metallkreuz des Rietzer Grieskogels ist erreicht! Es ist wohl eines der längsten Kreuze, die ich je gesehen habe.
Das 360-Grad-Panorama gibts zur Belohnung! Was für eine Schau. Berge, Gipfel, Grate, Spitzen, so weit das Auge reicht. Auf der Nordseite schlängelt sich der Inn durch das grüne Tal. Die Sicht reicht bis nach Innsbruck. Was für ein Kontrast – Sommer versus Winter. Dreht man sich um, sieht man ausschließlich Schneeriesen, die ihre makellosen weißen Bergflanken wie bei einem Schönheitswettbewerb stolz zur Schau tragen. In den Höhen der Stubaier Alpen herrscht momentan Hochwinter! Einige Zentimeter reichen bereits aus, um diese Bergwelt erstrahlen zu lassen. Die Wörter „Klimawandel“ oder „Erderwärmung“ haben hier oben abseits der Problemzonen keine offensichtliche Bedeutung. Oberflächlich scheint alles perfekt. Doch darunter schmelzen Gletscher, die letzten Firnfelder verschwinden – es ist ein leises Gehen … Mit dem Wissen, was uns und den Alpen noch bevorsteht, schätze ich diesen Tag umso mehr. Er ist ein Geschenk!
Skitour: 1000 Höhenmeter Exposition // Süd/Südwest Aufstieg: 2,5-3 Stunden Schwierigkeit // Leicht bis zum Skidepot. Gipfelanstieg über den Grat Mittel.
Lawinengefahr // Mittel: Nach Neuschneefällen oder Erwärmung im Frühjahr besteht von den Flanken her erhebliche Gefahr. Auch das Steilstück unterhalb der Westflanke des Gipfelaufbaus ist dann mit Vorsicht zu genießen. Durch die südseitige Exposition der Tour empfiehlt sich im Frühjahr ein zeitiger Aufbruch!
Land // Tirol – Stubaier Alpen
Orientierung // Vom Parkplatz an der Klammbrücke folgt man der Skitourenspur über den anfangs steilen Hang, der nach ca. 15 Minuten überwunden ist. Ab jetzt beginnt die lange, aber flache Querung ins Tal hinein, bis das Talende erreicht ist. Dort rechts Richtung Rietzer Grieskogel. Nach dem Aufstieg in einer flachen Senke muss ein kurzer, etwas steilerer Felsriegel überwunden werden. Nach ein paar anstrengenden Spitzkehren erreicht man ein flaches Hochplateau, welches am Ende kurz vor dem Skidepot wieder aufsteilt. Die Ski werden hier am aussichtsreichen Sattel deponiert. Über einen leichten, nie schwierigen Gratrücken wird der Gipfel in ca. 30 erreicht. Am Ende muss in einer felsigen Rinne der Steilstufe des Gipfelaufbaus etwas Kraft und Technik eingesetzt werden, bevor man das riesige Kreuz erreicht.
Anreise // Von Garmisch über Scharnitz, Seefeld und den Zirler Berg hinab nach Zirl. Die Ausfahrt Sellrain nehmen. Über Kematen nach Gries und weiter geradeaus Richtung Kühtai. Zwischen dem kleinen Weiler Haggen und dem Skigebiet Kühtai parkt man vor der Lawinengalerie. Nur wenige Parkplätze vorhanden! Am Wochenende muss man früh dran sein.
Parkplatz // An der Klammbrücke (1860 m).
Kosten // –
Ausrüstung // LVS-Equipment, Skitourenausrüstung, Felle, Helm, Brotzeit.
Beste Jahreszeit // Frühwinter bis Ende April (Südseitig!).
TIPP // Bei guten Schneebedingungen lohnt sich ein Abstecher auf das Kreuzjoch (2.563m) sowie den etwas schwierigeren Mitterzaigerkopf (2.628m). Dazu fährt man bis zum Talende ab, das ist etwa die Hälfte des Aufstieges. Dort zweigt eine Skitourenspur links ab. Nun müssen ca. 250 Höhenmeter hinauf zum Joch überwunden werden. Die Spitzkehren ziehen moderat, nie richtig steil werdend den Hang hinauf. Die Aussicht in die Ötztaler Alpen ist grandios! Wer noch Körner übrig hat und über die nötige Trittsicherheit verfügt, kann vom Sattel in 15 Minuten über den Grat auf den Gipfel des Mitterzaigerkopfes steigen. Die Abfahrt erfolgt vom Kreuzjoch nicht über den Aufstiegsweg, sondern nordöstlich haltend über die lohnenden Nordhänge. Ein Pulvergarant! Entlang des Baches auf der anderen Talseite wird nun bis zum Zusammenschluss der Spuren kurz vor dem letzten Steilstück hinab zum Parkplatz abgefahren.