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Hans Kammerlander über die wichtigste Seilschaft seines Bergsteigerlebens

Für die Ewigkeit: Hans Kammerlander auf dem Weg zum Gipfel des Gasherbrum II. Es ist der erste Gipfel, den er zusammen mit Reinhold Messner bei der Doppelüberschreitung zweier Achttausender 1984 erreicht.

Für die Ewigkeit: Hans Kammerlander auf dem Weg zum Gipfel des Gasherbrum II. Es ist der erste Gipfel, den er zusammen mit Reinhold Messner bei der Doppelüberschreitung zweier Achttausender 1984 erreicht. © Fotos: Archiv Hans Kammerlander

„Reinhold war der Chef”

Warum ich heute noch lebe? Diese Frage wurde mir bei Vorträgen immer wieder mal gestellt. Und die Antwort ist einfach: Das hat vor allem mit Reinhold Messner zu tun. Als er mich 1983 zu meinem ersten Achttausender mitnahm, war ich ein junger Spund mit herausragender Technik und null Erfahrung an den höchsten Bergen der Welt, er stand im Zenit seines Bergsteigerkönnens. Mein höchster Gipfel war damals der Mont Blanc – viele Basislager der höchsten Berge der Welt liegen höher. Es war leicht für mich, an Reinholds Seite meine Flügel auszubreiten – weil ich von ihm und seiner Erfahrung lernen konnte.

Wenn man heute im Extremalpinismus von Seilschaften spricht, dann gehört unsere zu jenen, die Alpingeschichte geschrieben haben. Aber was macht eine Seilschaft aus? Eine Seilschaft hat nichts mit Bergkameradschaft zu tun, es ist auch keine Zweckgemeinschaft. An den Achttausendern muss alles stimmen, sonst hat es gar keinen Sinn. Gerade in den herausfordernden Momenten zeigt sich, wie gut eine Seilschaft hält. Es ist schwierig zu erklären, was es heißt, im Basislager auf ein Wetterfenster zu warten oder weiter oben am Berg die Nacht zu verbringen. In einem Mini-Zelt, eingequetscht wie Sardinen. In einem Zustand, wo dich jede Kleinigkeit nervt. Ob Nordpolgeschichten, Antarktis oder Expeditionen an die höchsten Berge: So viele Seilschaften haben sich auf langen Expeditionen zerfranst. Unsere nicht.

Die Aufteilung bei uns war klar: Reinhold war der Chef. Er war der Ideengeber, wollte seinen Weg zu den 14 Achttausendern zu Ende gehen, und ich durfte ihn auf den letzten Bergen begleiten. Wir merkten schnell, dass wir uns am Berg perfekt ergänzen. Er, der große Taktiker mit seiner ganzen Erfahrung. Ich, der Draufgänger, der nur einen Weg kannte: nach vorne. Ich hätte oft mehr riskiert. Gerade in den Anfangsjahren geht das oft daneben. Reinhold hatte ein Gespür fürs Umdrehen, da war er ein richtiger Fuchs.

Die Erinnerungen an das, was wir erlebt haben, sind eingebrannt. Ganz besonders unsere Expedition zu Gasherbrum I und II, die wir 1984 in nur acht Tagen in einer Doppelüberschreitung bestiegen haben. Wir waren komplett allein, zwischen den beiden Bergen hätte uns niemand herausholen können. Dort habe ich die Abgeschiedenheit gespürt, wie nie zuvor. Aber auch das Gefühl, mich blind auf Reinhold verlassen zu können. Wenn du nach dieser Zeit wieder unten im Tal ankommst, dann als anderer Mensch.

Als wir von den großen Expeditionen zurückkamen, ging jeder seinen Weg. Bis wir wieder zusammen aufbrachen, um ein nächstes großes Ziel anzugehen. 1986 erreichten wir gemeinsam in einem Höllensturm den Gipfel des Lhotse, Reinholds 14. Achttausender. In dem Moment hatte er sein Ziel erreicht und auch für mich ging eine Ära zu Ende. Ab nun war ich auf mich allein gestellt, musste meine Touren selbst organisieren oder ein Team zusammenstellen. Da merkte ich richtig, wie sehr ich von Reinholds Organisationstalent profitiert habe.

Was mich an ihm schon damals faszinierte: Er hatte Ziele, die ihn brennend interessierten. Man spürte seine Begeisterung für Architektur. Unsere Gespräche in und außerhalb der Todeszone waren immer sehr kurzweilig. Er war einfach ein begnadeter Erzähler, immer schon. Da hatte er mir viel voraus: Die Pressegeschichten unten im Tal haben mich anfangs regelrecht gestresst. Ich musste da erst hineinwachsen. „Nimm die Kamera mit“, sagte er, „du wirst das beruflich brauchen.“ Er dachte voraus und hatte wie so oft recht. Dass das Bergsteigen ein stabiler Beruf geworden ist, habe ich ihm zu verdanken.

Innehalten: Oben angekommen, steht der größte Teil der Expedition noch bevor. Ein absoluter Grenzgang.

Innehalten: Oben angekommen, steht der größte Teil der Expedition noch bevor. Ein absoluter Grenzgang.

Der Extrembergsteiger

Der 1956 in Südtirol geborene Extrembergsteiger gehört zu den bekanntesten seines Fachs. Er stand auf 12 Achttausendern und meisterte als Erster eine von zwei Varianten der Seven Second Summits. In jeder Ausgabe von ALPS erzählt Kammerlander eine Geschichte, die ihn besonders geprägt hat.

Web: www.kammerlander.com